Recht auf Vergessenwerden setzt erheblichen Zeitablauf voraus

Recht auf Vergessenwerden setzt erheblichen Zeitablauf des Gegenstandes der Berichterstattung voraus

Das LG Frankfurt am Main hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das "Recht auf Vergessenwerden" einen Ex-Geschäftsführer berechtigt, von Google die Entfernung von Suchergebnissen zu 6 Jahre alten Berichten über seine Geschäftsführertätigkeit zu verlangen. Das Gericht verneinte im vorliegenden Fall einen Anspruch gegen Google auf Löschung von Links im Suchindex, da nach wie vor ein öffentliches Interesse an der konkreten Berichterstattung besteht.

Ex-Geschäftsführer verlangt von Google Entfernung von Links zu Presseberichten

Die Beklagte ist die Betreiberin der Google-Suchmaschine.

Der Kläger war bis April 2012 Geschäftsführer des A. 2011 gerit der A in eine finanzielle Schieflage, über die auch wiederholt in der Presse unter Nennung des Namens des Klägers berichtet wurde. Diese Berichte wurden auch im Internet veröffentlicht und waren nach wie vor dort abrufbar.

Der Kläger verlangte von Google die Entfernung von Suchtreffer bzw. Links, die auf diese Berichte hinweisen. Zur Begründung gab er an, dass er ein Recht auf Anonymität habe.

Da Google nicht löschte, erhob der Kläger vor dem Landgericht Frankfurt Klage mit dem Antrag, Google zu verurteilen, es zu unterlassen, bestimmte URLs bei den Suchergebnissen der Google-Suchmaschine in Deutschland bei Eingabe seines Namens, sowohl isoliert als auch in Verbindung mit bestimmten geografischen Angaben, anzuzeigen.

Urteil: Kein Anspruch auf Löschung von Links in Suchindex bei weiterhin bestehendem öffentlichen Interesse an Auffindbarkeit der Berichte

Die Klage des Ex-Geschäftsführers gegen Google auf Entfernung der Suchtreffer und Links hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts überwiegen die schützenswerten Rechte von Google das Recht des Ex-Geschäftsführers auf Anonymität und informationelle Selbstbestimmung.

Google kann sich auf Meinungs- und Pressefreiheit der Autoren und Seiteninhaber berufen

Auf Seiten von Google sei dabei nicht nur das eigene wirtschaftliche Interesse von Google am Betrieb der Suchmaschine zu berücksichtigen, sondern auch die Rechte der Autoren und Seiteninhaber, nämlich die Meinungs- und Pressefreiheit:

"(...) sind auf Seiten [von Google] die durch den Betreiber einer Suchmaschine gewährleisteten Rechte der Autoren und Seiteninhaber zu berücksichtigen, deren Recht aus Art. 5 Abs. 1 GG auch den Anspruch beinhaltet, mit ihrer Meinung gehört bzw. gefunden zu werden, bei Medienorganen ferner das Recht auf Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG. Weiter sind die Ansprüche der Nutzer zu berücksichtigen, die sich im Rahmen ihrer Suche über im Netz vorgehaltene Inhalte informieren wollen (...)."

Öffentliches Interesse an Presseberichten geht Persönlichkeitsrecht vor

Vorliegend ginge die Meinungs- und Pressefreiheit dem Recht des Ex- Geschäftsführers auf Anonymität und infomationelle Selbstbestimmung vor. Zur Begründung wies das Gericht darauf hin, dass die über die Suchttreffer bzw. Links abrufbare Berichterstattung wahr ist und nach wie vor ein erhebliches Interesse an der Berichterstattung besteht:

"Der Kläger wendet sich im Wesentlichen dagegen, dass bei Suche nach seinem Namen durch [Google] offenbart wird, dass er im Jahr 2011, als der A in finanzielle Schwierigkeiten geriet, deren Geschäftsführer war, ferner, dass er aufgrund einer Erkrankung nicht erreichbar war, wobei die Erkrankung länger dauerte und eine Rehabilitationsmaßnahme erforderlich machte. Diese über ihn getätigten Angaben sind sämtlich wahr.

Durch die betroffenen Angaben und die Anzeige der streitgegenständlichen Links in den Suchergebnissen ist der Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen. Die Beeinträchtigung ist aber in der Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht als rechtswidrig anzusehen.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass der Kläger Geschäftsführer des A war, der Sozialsphäre des Klägers entstammt ...). Weiter ist einzustellen, dass (...) ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, wenn und vor welchem Hintergrund über eine finanzielle Schieflage des A berichtet wird. Denn der A als Ganzes ist in der Öffentlichkeit überaus bekannt und für vielfältige soziale Tätigkeiten von Bedeutung. (...)

Die Angaben zur Erkrankung des Klägers sind vorliegend wenig konkret. Offenbart wird lediglich, dass der Kläger länger erkrankt ist und "Reha-Maßnahmen" durchführt. (...). Das hohe öffentliche Interesse an der Berichterstattung über die finanzielle Schieflage des A umfasst hier (...) auch die gesundheitsbezogenen Angaben. In der Berichterstattung wird insbesondere darauf Bezug genommen, dass der Kläger in der aktuellen Schieflage nicht zur Verfügung stehe. (...).  An diesen Angaben und dem zu Grunde liegenden Sachverhalt, nämlich der Erkrankung des Klägers, besteht ebenfalls ein hohes öffentliches Interesse, da das Fehlen des Geschäftsführers des A in einer Krisensituation und seine Verfügbarkeit als Auskunftsperson über die Hintergründe der finanziellen Schieflage auch die Frage betreffen, ob und wie schnell der A die finanzielle Schieflage überwinden und seinen Aufgaben weiter nachgehen kann."

Recht auf Vergessenwerden besteht nicht schon nach 6 Jahren

Auch das vom EuGH anerkannte "Recht auf Vergessenwerden" ändere nichts an vorstehender Abwägung. Denn auch insoweit überwiege das öffentliche Interesse an der Auffindbarkeit der betroffenen Artikel das Interesse des Ex-Geschäftsführers an deren Nichtauffindbarkeit. Ein Zeitablauf von vorliegend 6 bzw. 4 Jahre genüge nicht:

"In diesem Zusammenhang ist zusätzlich einzustellen, dass der Vorfall hier sechs Jahre zurück liegt, die letzte Berichterstattung sogar lediglich ca. vier Jahre. Der Fall "Google Spain" des EuGH betraf hingegen Angaben zum dortigen Kläger, die immerhin 16 Jahre zurücklagen und deren Informationszweck bereits erfüllt war.

In der Rechtsprechung sind bisher Löschungsbegehren erörtert worden, bei denen der betroffene Vorfall - bei jeweils bestehendem öffentlichen Interesse - jeweils lediglich vier (LG Wiesbaden, Urt. v. 09.08.2016 - 4 O 7/15, ...), sechs (OLG Köln, Urt. v. 31.05.2016 - 15 U 197/15), sieben (OLG Celle NJW-RR 2017, 362 ...) oder acht Jahre (OLG Köln, Urt. v. 10.08.2017 - 15 U 188/16, ....) zurück lag. Diese wurden jeweils aufgrund des fehlenden hinreichenden Zeitablaufs nicht nach dem "Recht auf Vergessenwerden" als begründet angesehen. So war dies aus den oben genannten Gründen auch hier zu berurteilen."

LG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.10.2017, Az.: 2-03 O 190/16