Das KG hat entschieden, dass die Verdachtsberichterstattung über einen Strafverteidiger, der wegen des Verdachts des Drogenhandels in Untersuchungshaft sitzt, zulässig ist. Das Gericht betonte, dass wahre Tatsachenbehauptungen grundsätzlich zulässig seien, solange sie keine unverhältnismäßige Persönlichkeitsverletzung darstellten. Im vorliegenden Fall sah das Gericht die Verdachtsberichterstattung als gerechtfertigt an, da ausreichende Beweistatsachen vorlagen, keine Vorverurteilung vorlag und das öffentliche Interesse den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht überwog.
Streitpunkt: Medien berichten über Strafverteidiger in Untersuchungshaft mit Namen
Der Kläger, ein Rechtsanwalt, war aufgrund des Verdachts wegen mutmaßlichen Drogenhandelns in Untersuchungshaft genommen worden. Die Medien berichteten darüber, namentlich und identifizierend.
Der Kläger war der Ansicht, diese Berichterstattung verletzte sein Persönlichkeitsrecht. Das Gericht nahm (wie bei solchen Klagen üblich) eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem Recht der Medien auf freie Berichterstattung vor. Dabei spielte der Wahrheitsgehalt der Aussagen eine zentrale Rolle. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen nämlich grundsätzlich toleriert werden, auch wenn sie nachteilig für die betroffene Person sind. Sie dürfen jedoch nicht in unangemessener Weise in das Persönlichkeitsrecht eingreifen.
KG: Identifzierende Verdachtsberichterstattung über Strafvertreidiger war zulässig
Im vorliegenden Fall erachtete das Gericht die Verdachtsberichterstattung als zulässig, da:
Mindestbeweise vorlagen: Die Untersuchungshaft setzt voraus, dass der Beschuldigte dringender Verdacht auf eine Straftat wie den Handel mit Betäubungsmitteln hatte.
Keine Vorverurteilung erfolgte: Die Berichterstattung erweckte nicht den Eindruck, dass der Beschuldigte bereits schuldig war.
Öffentliches Interesse bestand: Als Strafverteidiger, der in der Vergangenheit auch Drogenstraftäter verteidigte, war das öffentliche Interesse an der Identifizierung besonders hoch, da der Verdacht direkt mit seiner beruflichen Tätigkeit verknüpft war.
Fazit: Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung
Eine Verdachtsberichterstattung ist grundsätzlich zulässig, wenn:
1️⃣ Ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die den Verdacht stützen.
2️⃣ Die Berichterstattung keine Vorverurteilung enthält und der Beschuldigte nicht als bereits schuldig dargestellt wird.
3️⃣ Es sich um einen Vorgang von öffentlichem Interesse handelt, der die Identifizierung des Betroffenen rechtfertigt.
4️⃣ Vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt wurde, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern.
Beschluss des Kammergerichts vom 07.06.2023 – 10 W 2/23
Tenor:
1. Die gegen die teilweise Zurückweisung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 2022, 27 O 503/22, gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
A.
I.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig. Insbesondere wahrt die am 20. Dezember 2022 beim Landgericht eingegangene Beschwerde die 2-Wochen-Frist des § 569 Absatz 1 ZPO, da diese mit der Zustellung des Beschlusses am 19. Dezember 2022 zu laufen begann. Auch die Formvorschriften des § 569 Absatz 2 ZPO sind gewahrt.
II.
Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht gemäß §§ 823 Absatz 1, 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1, 1 Absatz 1 GG kein Anspruch auf Unterlassung der identifizierenden Wortberichterstattung in der … unter der Überschrift „…“ zu.
Die Berichterstattung der Antragsgegnerin über die gegenüber dem Antragsteller erhobenen Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge greift – ebenso wie die Mitteilung der Anordnung von Untersuchungshaft – allerdings in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers ein. Die einem Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, Randnummer 19).
Ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist, ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Antragstellers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 GG, Artikel 8 Absatz 1 EMRK mit dem in Artikel 5 Absatz 1 GG, Artikel 10 EMRK verankerten Recht der Antragsgegnerin auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden (siehe nur BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, Randnummer 22). Danach handelt es sich bei der Berichterstattung um eine noch zulässige Verdachtsberichterstattung.
Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, Randnummer 25; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, Randnummer 12; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10, Randnummer 12). Auch wahre Tatsachenbehauptungen sind indes nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussage geeignet ist, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten oder eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden droht (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, Randnummer 21).
Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Artikel 5 GG; § 193 StGB). Auf die vom Landgericht zutreffend wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen.
Geht es – wie hier – um eine Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat, so ist zu berücksichtigen, dass Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (BGH, Urteil vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, Randnummer 18). Handelt es sich um die Berichterstattung über ein noch nicht abgeschlossenes Strafverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung auch die zugunsten des Betroffenen sprechende, aus dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 GG) folgende und in Artikel 6 Absatz 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung zu berücksichtigen. Diese gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung. Im Hinblick darauf kann bis zu einem erstinstanzlichen Freispruch oftmals das Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Achtung des Privatlebens gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen (BGH, Urteil vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, Randnummer 18).
Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz auch für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten.
In diesem Verfahrensstadium ist nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen. Im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Artikel 6 Absatz 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung ist aber die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“.
Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (ständige Rechtsprechung, vergleiche nur BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, Randnummer 29).
Ausgehend von diesen Maßgaben stellt sich die Berichterstattung als noch zulässige Verdachtsberichterstattung dar.
Für den geäußerten Verdacht liegt ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. Unstreitig befand sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in Untersuchungshaft. Die Anordnung der Untersuchungshaft setzt aber voraus, dass der Beschuldigte der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht (§ 112 Absatz 1 Satz 1 StPO). Voraussetzung ist, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Straftat begangen hat und zudem Haftgründe, wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehen.
Der Beitrag ist – wie das Landgericht auch im Hinblick auf die zugleich angegriffene Online-Berichterstattung zutreffend feststellt – auch nicht vorverurteilend. Insbesondere erweckt die beanstandete Wortberichterstattung nicht den Eindruck, der Antragsteller sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt.
Dass dem Antragsteller keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei, hat er nicht vorgetragen. Nach der angegriffenen Berichterstattung hat sich der Antragsteller auf Anfrage nicht äußern wollen.
Es handelt sich im Fall auch um einen Vorgang von einem solchen Gewicht, dass ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit auch an der Offenlegung der Identität des Antragstellers besteht. Dass ein als Strafverteidiger tätiger Rechtsanwalt wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft genommen wird, ist angesichts der Stellung von Rechtsanwälten als Organ der Rechtspflege, von einem überwiegenden öffentlichen Informationsinteresse.
Zwar ist der Antragsteller einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt (dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, Randnummer 43). Ferner kann der Straftatbestand eines unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wohl nur dem Bereich der mittleren Kriminalität zugeordnet werden.
Abgesehen davon, dass dieser Umstand nicht nur für das öffentliche Informationsinteresse von Relevanz ist, sondern zugleich die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung mindert (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, Randnummer 19 – Gazprom-Manager), darf bei der Gewichtung des Informationsinteresses aber nicht allein auf die Schwere der vorgeworfenen Straftat abgestellt werden (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, Randnummer 19 – Gazprom-Manager). Vielmehr sind die Besonderheiten des zu beurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Mithin ist insbesondere der Umstand, dass ein Strafverteidiger, der nach der Berichterstattung regelmäßig „Drogen-Straftäter“ vor Gericht vertritt, seinerseits in den dringenden Verdacht gerät mit Betäubungsmitteln gehandelt zu haben, angesichts der „Berufsbezogenheit“ dieses Verdachts und der Anordnung der Untersuchungshaft bei der Gewichtung des Informationsinteresses besonders zu berücksichtigen. Dies gilt, obwohl der Antragsteller einer von tausenden in … zugelassenen Rechtsanwälten ist. Im Übrigen hinaus steht der gegenüber dem Antragsteller erhobene Vorwurf nicht demjenigen gleich, der Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18 – war. Der dortige Vorwurf, ein Sexualverbrechen gegenüber einer Mitarbeiterin begangen zu haben, setzt den Beschuldigten auch schon vor einer Verurteilung der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung aus, die einem Handel mit Betäubungsmittel – mag er auch missbilligt und strafbar sein – nicht im gleichen Maße mit sich bringt.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.
Der Gebührenstreitwert für das Beschwerdeverfahren ist nach § 53 Absatz 1 Nummer 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Senates ist in Anlehnung an § 23 Absatz 3 Satz 2 RVG bei einer nicht-vermögensrechtlichen Streitigkeit und mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse von einem Wert von 5.000 EUR auszugehen (siehe nur BGH, Beschluss vom 28. Januar 2021 – III ZR 162/20, Randnummer 9; BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – III ZR 124/20, Randnummer 11; BGH, Beschluss vom 17. November 2015 – II ZB 8/14, Randnummer 13).
Im Fall bestehen Anhaltspunkte für ein höheres Interesse. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt in … Sein Interesse eine ihn identifizierende Berichterstattung zu verhindern, hat er selbst durch seine Angaben in der Antragsschrift mit insgesamt 40.000 EUR beziffert, von denen die Printberichterstattung in der Regionalausgabe der … Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist.