BGH: Kein DSGVO-Schadensersatz wegen Werbe-E-Mails

Bild, das einen Computer zeigt, der Newsletter versendet

Unerwünschte Werbe-E-Mails sind für viele ein Ärgernis. Doch reicht die Zusendung von Werbe-E-Mails aus, um einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO zu begründen? Der BGH hat dies in seiner Entscheidung vom 28.01.2025 verneint. Zwar könne die Zusendung unerwünschter Werbung einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen, jedoch reiche der Verstoß allein nicht aus, um einen Schaden nach Art. 82 DSGVO zu begründen. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn durch die Zusendung der Werbe-E-Mails Dritte Kenntnis von personenbezogenen Daten des Betroffenen erlangen.

Werbung per E-Mail ist sowohl aus persönlichkeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher als auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ein sensibles Thema. Unzulässige E-Mail-Werbung kann zu Abmahnungen und Klagen von Betroffenen und Wettbewerbern führen. Im schlimmsten Fall drohen auch Maßnahmen und ggf. Bußgelder der Datenschutzbehörden.

Was ist Werbung?

Die Gerichte legen den Begriff "Werbung" sehr weit aus. Werbung beschränkt sich nicht auf offensichtliche Maßnahmen wie produktbezogene Newsletter. Auch scheinbar neutrale Mitteilungen können als Werbung eingestuft werden:

  • Auftragsbestätigungen
  • Versandmitteilungen
  • Bestätigungsmails im Double-Opt-In-Verfahren

KG: Werbender Hinweis im Footer einer E-Mail

Ein wegweisendes Urteil des Kammergerichts aus dem Jahr 2019 verdeutlicht diese weite Auslegung. Es entschied, dass bereits minimale werbliche Elemente ausreichen, um eine gesamte E-Mail als Werbung einzustufen. Im konkreten Fall genügte ein kurzer Hinweis in der Fußzeile der E-Mail:

"XXXXX. Organisiert, denkt mit, erledigt. Nutzen Sie www.XXXXX.de".

Dieser kleine Zusatz führte dazu, dass die gesamte E-Mail als Werbung eingestuft wurde, obwohl der Hauptinhalt keine werblichen Elemente enthielt.

LG Stendal: Logo in DOI-Bestätigungs-Email zum Newsletter

Das Landgericht Stendal hat 2021 (Urteil vom 12.05.2021) entschieden, dass die Verwendung eines Logos oder Formulierungen wie „Welcome to...“ und " hast du Fragen zum Newsletter? Kontaktiere uns über...“ in einer DOI-Bestätigungs-E-Mail dazu führen, dass diese E-Mail als Werbung zu qualifizieren ist.

Wann ist E-Mail-Werbung zulässig?

Unternehmen, die per E-Mail für ihre Produkte oder Dienstleistungen werben wollen, müssen sich an strenge rechtliche Vorgaben halten. Grundsätzlich ist Werbung per E-Mail nur zulässig, wenn

  • der Empfänger vorher ausdrücklich eingewilligt hat (Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO, § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG) oder
  • ein Ausnahmetatbestand nach § 7 Abs. 3 UWG ("Bestandskundenwerbung") vorliegt.

📌 Dies gilt sowohl für Werbe-E-Mails, die an Unternehmen gerichtet sind, als auch für Werbe-E-Mails an Verbraucher.

§ 7 Abs. 3 UWG erlaubt E-Mail-Werbung ohne vorherige Einwilligung, wenn

  1. der Versender die E-Mail-Adresse im Zusammenhang mit einem Verkauf oder einer Dienstleistung erhalten hat
  2. sich die Werbung auf ähnliche Waren oder Dienstleistungen bezieht
  3. der Empfänger der Verwendung seiner E-Mail-Adresse nicht widersprochen hat und
  4. in jeder Werbe-E-Mail eine einfache Widerspruchsmöglichkeit besteht.

💡 Es müssen alle vier Voraussetzungen vorliegen. Fehlt auch nur eine, ist die E-Mail-Werbung unzulässig. Mehr Informationen, wann E-Mail-Werbung ohne Einwilligung zulässig ist, finden Sie hier?

Fehlt eine Einwilligung oder eine andere Rechtsgrundlage, handelt es sich um unerlaubte Werbung („Spam“), die vom Betroffenen, von Wettbewerbern und Verbraucherschutzvereinen abgemahnt werden kann. Üblicherweise wird die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gefordert. Wird ein Rechtsanwalt mit der Abmahnung beauftragt, sind auch die Anwaltskosten zu erstatten.

📢 Bereits eine einzige Werbe-E-Mail kann abgemahnt werden, ohne dass der Absender zuvor kostenfrei darauf hingewiesen werden muss.
📌 Die Unterlassungserklärung darf nicht auf eine bestimmte E-Mail-Adresse beschränkt sein, sondern muss sich auf die Person des Betroffenen beziehen.
💡 Bei Verstößen gegen die Unterlassungserklärung drohen Vertragsstrafen. Tipps zum Vorgehen nach Erhalt einer Abmahnung finden Sie hier.

Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO wegen E-Mail-Werbung?

Der Versand von Werbe-E-Mails ohne Einwilligung des Betroffenen oder ohne sonstige Rechtsgrundlage kann auch einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen, wenn es sich bei der E-Mail-Adresse um ein personenbezogenes Datum handelt. Eine E-Mail-Adresse gilt als personenbezogenes Datum, wenn sie dazu benutzt werden kann, eine natürliche Person direkt oder indirekt zu identifizieren. Praktische Beispiele sind:

  • Persönliche E-Mail-Adressen: Adressen wie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. enthalten den Vor- und Nachnamen der Person und ermöglichen eine eindeutige Identifizierung.
  • Geschäftliche E-Mail-Adressen: Adressen wie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. enthalten den Namen und die Berufsbezeichnung der Person und gelten daher ebenfalls als personenbezogene Daten.
  • Indirekte Identifizierung: Auch wenn eine E-Mail-Adresse keine direkten Informationen enthält (z. B. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.), kann sie in Verbindung mit anderen Daten zur Identifizierung einer Person verwendet werden und fällt daher unter die Datenschutzbestimmungen.

Nicht personenbezogene E-Mail-Adressen sind dagegen allgemeine Adressen wie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., da sie keine Informationen über eine natürliche Person enthalten und von juristischen Personen verwendet werden können.

Wird eine personenbezogene E-Mail-Adresse für Werbezwecke verwendet, stellt sich die Frage, ob Betroffene neben einem Anspruch auf Unterlassung und Erstattung von Anwaltskosten einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO geltend machen können. Genau mit dieser Frage hatte sich der BGH zu befassen.

Der konkrete Fall vor dem BGH

Sachverhalt

Ein Verbraucher hatte von einem Unternehmen ohne vorherige Einwilligung mehrere Werbe-E-Mails erhalten. Er empfand die E-Mails als belästigend und machte neben einem Unterlassungsanspruch auch einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO in Höhe von 500 EUR geltend. 

Zur Begründung führte er aus, dass die Zusendung der Werbe-E-Mails bei ihm das ungute Gefühl ausgelöst habe, dass personenbezogene Daten an Unbefugte weitergegeben worden seien. Zudem habe er sich mit der Abwehr der unerwünschten Werbung und der Herkunft der Daten auseinandersetzen müssen, was zu einem belastenden Eindruck des Kontrollverlusts geführt habe. Außerdem habe die Beklagte nach dem Verstoß zunächst nicht reagiert, was eine erneute Missachtung seiner Person zum Ausdruck bringe.

Prozessverlauf

In erster Instanz gab das Landgericht dem Unterlassungsanspruch statt, wies den Schadensersatzanspruch jedoch ab. Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung und stellte klar, dass allein der Erhalt unzulässiger Werbung nicht ausreiche, um einen immateriellen Schaden zu begründen. Der Kläger wandte sich daraufhin an den Bundesgerichtshof. Dieser verneinte ebenfalls einen Schadensersatzanspruch und verwies dabei auf die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelten Grundsätze zu Art. 82 DSGVO.

EuGH-Grundsätze zu Art. 82 DSGVO

Der EuGH hat sich bereits mehrfach mit der Auslegung des Art. 82 DSGVO befasst. Die wichtigsten Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung:

  • kein Automatismus: Ein Verstoß gegen die DSGVO allein reicht nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Vielmehr muss ein tatsächlicher Schaden nachgewiesen werden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-300/21).
  • Weite Auslegung des Schadensbegriffs: Der Schaden kann sowohl materieller als auch immaterieller Natur sein, z.B. Kontrollverlust über personenbezogene Daten oder psychische Belastung.
  • Kein Erheblichkeitserfordernis: Auch geringfügige Beeinträchtigungen können ausreichen. Allerdings muss der Betroffene nachweisen, dass er tatsächlich einen Schaden erlitten hat.

Der EuGH betont damit, dass es auf die konkrete Beeinträchtigung des Betroffenen ankommt.

Warum lehnte der BGH Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO ab?

Der BGH hat entschieden, dass der bloße Erhalt unerwünschter E-Mail-Werbung keinen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO darstellt. Zur Begründung führte das Gericht aus

Kein Verlust der Herrschaft über personenbezogene Daten.

Eine Werbe-E-Mail enthält in der Regel keine personenbezogenen Daten des Empfängers außer der E-Mail-Adresse selbst. Da der Empfänger die E-Mail-Adresse bereits selbst nutzt, liegt kein Kontrollverlust vor.

Keine wesentliche Beeinträchtigung

Unerwünschte Werbung kann zwar lästig sein, führt aber nicht automatisch zu einer spürbaren psychischen Belastung oder einem sonstigen immateriellen Schaden. Der BGH knüpft damit an seine bisherige Rechtsprechung an, wonach eine bloße Unannehmlichkeit oder Belästigung nicht ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen.

Ausnahme: Weitergabe an Dritte

Eine Ausnahme sieht der BGH nur dann, wenn durch den Versand der Werbe-E-Mail personenbezogene Daten des Empfängers an Dritte weitergegeben werden. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn bei einer Massen-E-Mail die E-Mail-Adressen aller Empfänger im „CC“ statt im „BCC“ stehen und somit für alle sichtbar sind. Auch ein unbefugter Zugriff durch Dritte (z.B. durch ein Datenleck) könnte einen Schadensersatzanspruch nach der DSGVO begründen.

Mit dieser Entscheidung stellt der BGH klar, dass auch die unverlangte Zusendung von E-Mail-Werebung nicht automatisch zu einem Schadensersatzanspruch führt. Vielmehr müssen Betroffene darlegen, dass ihnen durch die unzulässige Werbe-E-Mail ein konkreter immaterieller Schaden entstanden ist.

BGH, Urteil vom 28.01.2025, Az. VI ZR 109/23

Fazit

Das Urteil des BGH setzt klare Maßstäbe für DSGVO-Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit unzulässiger E-Mail-Werbung. Es entlastet Unternehmen dahingehend, dass der bloße Erhalt einer Spam-Mail nicht ausreicht, um einen immateriellen Schaden zu begründen. Dennoch bleibt E-Mail-Werbung ohne Einwilligung ein rechtliches Risiko.

👉 Konsequenzen für Verbraucher
Verbraucher sollten sich bei unerwünschten E-Mails auf Unterlassungs- und Löschungsansprüche konzentrieren. Schadensersatzansprüche sind nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend, etwa wenn durch die Werbung persönliche Daten preisgegeben werden.

👉 Konsequenzen für Unternehmen
E-Mail-Werbung ohne Einwilligung bleibt riskant, da sie weiterhin abmahnfähig ist und Unterlassungsansprüche sowie Bußgelder nach sich ziehen kann. Gelangen durch fehlerhafte Werbe-E-Mails personenbezogene Daten an unbefugte Dritte, drohen zudem Schadensersatzansprüche.