Verdachtsberichterstattung führt immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat kürzlich entschieden, dass eine Anhörung des Betroffenen zu der konkret geplanten Berichterstattung zwingend erforderlich ist - auch wenn der Betroffene zuvor eine generelle Stellungnahme abgelehnt hat. Im konkreten Fall ging es um die Darstellung eines ehemaligen Geheimagenten in einer Dokumentation über den Tod von Uwe Barschel. Welche Grundsätze bei einer Verdachtsberichterstattung zu beachten sind und welche Folgen eine unzulässige Verdachtsberichterstattung haben kann, erfahren Sie hier.
Bedeutung und Risiken der Verdachtsberichterstattung
Die Verdachtsberichterstattung ist ein wichtiges Instrument des investigativen Journalismus, um Missstände aufzudecken und die öffentliche Meinungsbildung zu fördern. Große Skandale wie Watergate oder der Parteispendenskandal wurden durch solche Berichte aufgedeckt, womit die Medien ihrer Rolle als "Wächter" der Demokratie gerecht werden. Gleichzeitig birgt sie erhebliche Risiken: Ein öffentlich geäußerter Verdacht kann den Ruf des Betroffenen nachhaltig schädigen, auch wenn er sich später als unbegründet erweist. Die Medien müssen daher sorgfältig zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte abwägen, um schwerwiegende Folgen für die Betroffenen zu vermeiden. Die Rechtsprechung stellt daher strenge Anforderungen an solche Berichte.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Damit eine Verdachtsberichterstattung zulässig ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1️⃣ Berechtigtes öffentliches Informationsinteresse: Die Berichterstattung muss ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit betreffen. Sensationslust oder reine Neugierde reichen nicht aus.
2️⃣ Mindestbestand an Beweistatsachen: Der geäußerte Verdacht muss durch konkrete Tatsachen gestützt sein. Bloße Vermutungen oder unzureichende Anhaltspunkte sind nicht ausreichend.
3️⃣ Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht: Medien müssen sorgfältige Recherchen durchführen und den Betroffenen vor Veröffentlichung anhören. Die Anhörung muss sich auf die konkreten Inhalte des geplanten Berichts beziehen.
4️⃣ Ausgewogene Darstellung ohne Vorverurteilung: Der Bericht darf den Eindruck einer Schuld des Betroffenen nicht erwecken und muss klarstellen, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt.
Folgen unzulässiger Verdachtsberichterstattung
Wird gegen diese Grundsätze verstoßen, drohen erhebliche rechtliche Konsequenzen:
Unterlassungsansprüche: Der Betroffene kann die weitere Verbreitung untersagen lassen.
Schadensersatzforderungen: Rufschädigung kann finanzielle Entschädigungen nach sich ziehen.
Gegendarstellungsansprüche: Der Betroffene kann verlangen, dass seine Sicht der Dinge veröffentlicht wird.
Widerrufspflichten: Medien können verpflichtet werden, die Berichterstattung zurückzunehmen.
📌 Weitere Informationen zur Verdachtsberichterstattung: "Verdachtsberichterstattung: Regeln für Presse und Blogger"
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Negativbeispiel: OLG Frankfurt a.M. - Keine konkrete Anhörung vor Verdachtsberichterstattung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 20.03.2025 noch einmal klargestellt, dass vor der Veröffentlichung einer Verdachtsberichterstattung dem Betroffenen die Gelegenheit gegeben werden muss, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dabei muss der Betroffene mit den konkreten Verdachtsmomenten, über die berichtet werden soll, konfrontiert werden. Allgemeine Fragen oder die Bitte um ein Interview, in dem er unvorbereitet mit der Verdachtslage konfrontiert wird, reichen nicht aus.
📌 Weitere Informationen zur Anhörungspflicht: "Verdachtsberichterstattung: Regeln für Presse und Blogger"
Sachverhalt: Dokumentarfilm lässt Verstrickungen vermuten
Der Kläger war ein ehemaliger Geheimagent, der sowohl für deutsche als auch ausländische Sicherheitsbehörden tätig war. Die Beklagten – ein Filmproduktionsunternehmen – produzierten eine vierteilige Dokumentationsreihe über den Tod von Uwe Barschel in Genf. Ziel der Serie war es, verschiedene Theorien und Indizien zu den Umständen und Hintergründen seines Todes darzustellen.
In einer Passage des Films wurde durch die Zusammenstellung von Aussagen von Zeitzeugen und Zwischentexten der Eindruck erweckt, der Kläger könne in den Tod von Uwe Barschel verwickelt sein. Der Kläger sah darin eine unzulässige Verdachtsberichterstattung und klagte auf Unterlassung.
Die Beklagten hatten den Kläger zwar kontaktiert, um ein Interview zu führen, doch dieser lehnte jede Stellungnahme ab – allerdings ohne Kenntnis des konkreten Inhalts des Films. Das Landgericht Frankfurt gab dem Kläger Recht und untersagte den Beklagten die Verbreitung der entsprechenden Passagen des Films. Die Berufung der Beklagten vor dem OLG Frankfurt blieb erfolglos.
Gericht: Betroffener muss vor Verdachtsberichterstattung konkret angehört werden
Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil der Vorinstanz und stellte fest:
Unzulässige Verdachtsäußerung durch Gesamtkontext: Die Beklagten erweckten durch die Kombination wahrer Tatsachen mit Aussagen von Zeitzeugen sowie durch die Anordnung und Darstellung im Film den Eindruck, der Kläger sei am Tod von Uwe Barschel beteiligt gewesen. Auch wenn dieser Verdacht nicht explizit ausgesprochen wurde, ergab sich aus dem Gesamtkontext eine implizite Schuldzuweisung.
Verletzung der Anhörungspflicht: Die Beklagten hätten dem Kläger ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu den konkreten Inhalten des Films geben müssen. Dies sei nicht geschehen, da der Kläger nur vorab allgemein kontaktiert wurde – ohne Kenntnis des geplanten Berichts oder seiner konkreten Inhalte.
Ablehnung eines Interviews entbindet nicht von Anhörungspflicht: Das Gericht betonte, dass die Anhörungspflicht nicht dadurch entfällt, dass der Kläger ein Interview ablehnte oder erklärte, keine Stellungnahme abzugeben. Zum Zeitpunkt seiner Ablehnung war der Film noch nicht fertig konzipiert, sodass der Kläger keine Möglichkeit hatte, sich zu den konkreten Vorwürfen zu äußern.
Verweis auf andere Berichte irrelevant: Die Beklagten argumentierten, dass ähnliche Aussagen über den Kläger bereits in anderen Medien (z.B. Wikipedia oder Berichte der Staatsanwaltschaft Lübeck) veröffentlicht worden seien und er dagegen nicht vorgegangen sei. Das Gericht wies dieses Argument zurück: Die Inhalte dieser Berichte unterschieden sich maßgeblich von den Aussagen im Filmbeitrag.
Das Gericht verpflichtete die Beklagten zur Unterlassung der entsprechenden Passagen im Film und stellte klar, dass die Entscheidung im Eilverfahren unanfechtbar ist.
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.3.2025, Az.: 16 U 42/24
Fazit und Praxishinweise
👉 Vor einer Verdachtsberichterstattung muss dem Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben werden. Dies ermöglicht nicht nur die Berücksichtigung seiner Sichtweise und potenziell neuer Informationen, sondern kann auch das Haftungsrisiko der Medien reduzieren. Eine sorgfältige und faire Anhörung ist daher ein zentraler Bestandteil der journalistischen Sorgfaltspflicht.
👉 Die Anhörung muss sich dabei auf die konkreten Verdachtsmomente beziehen – allgemeine Fragen oder unvorbereitete Konfrontationen reichen nicht aus. Wird dem Betroffenen eine unangemessen kurze Frist gesetzt oder eine Fristverlängerung verweigert, liegt ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten vor.
👉 In Ausnahmefällen, etwa wenn der Betroffene bereits öffentlich Stellung bezogen hat oder durch eine Anhörung gewarnt werden könnte, kann die Pflicht zur Anhörung entfallen. Taktische Erwägungen wie die Angst vor einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen hingegen keine Ausnahme.
👉 Der Betroffene ist nicht verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben. Schweigt er oder lehnt er eine Äußerung ab, darf dies nicht als Eingeständnis gewertet werden. Gibt er jedoch eine Stellungnahme ab, muss diese korrekt und in angemessenem Umfang wiedergegeben werden, um eine ausgewogene und rechtlich zulässige Berichterstattung sicherzustellen.