Fremde Werke als Vorlage für eigene Werke - Zulässig?

Ein Künstler steht vor einer leere Leinwand.

In der Kunst- und Kreativszene ist es keine Seltenheit, dass man sich von bestehenden Werken inspirieren lässt. Doch wann wird aus der Inspiration eine Urheberrechtsverletzung? In diesem Beitrag beleuchten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen, wenn Werke Dritter als Vorlage für eigene kreative Arbeiten genutzt werden.

Bearbeitung vs. freie Benutzung: Die rechtlichen Grundlagen

§ 23 Abs. 1 S. 2 UrhG bestimmt, dass eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes keine Urheberrechtsverletzung darstellt, wenn das neue Werk einen ausreichenden Abstand zum ursprünglichen Werk hält. In diesem Fall spricht man von einer „freien Benutzung“, d.h. das neue Werk darf ohne Zustimmung des Urhebers verwendet werden.

Diese Regelung bestimmt daher, wann der Urheberrechtsschutz endet und andere Künstler ein bestehendes Werk als Inspiration nutzen können, ohne gegen das Urheberrecht zu verstoßen. Der Urheber behält zwar die Kontrolle über sein Werk und seine Bearbeitungen, aber nur so lange, wie das neue Werk noch stark an das Original erinnert. Wird das neue Werk jedoch so stark verändert, dass es den Schutzbereich des Originals verlässt, darf es ohne Zustimmung des Urhebers genutzt werden.

Damit wird sichergestellt, dass sich Künstler künstlerisch mit bestehenden Werken auseinandersetzen können (solange sie einen ausreichenden Abstand zum Originalwerk wahren). Diese Freiheit ist für die kreative Weiterentwicklung und das Kunstleben wichtig, da es sonst zu sehr eingeschränkt wäre, wenn Künstler nur auf Werke zurückgreifen dürften, die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind.

Gerade bei Musikwerken war die Rechtsprechung in der Vergangenheit sehr streng, aber das Bundesverfassungsgericht hat diese strenge Auslegung zugunsten der Kunstfreiheit aufgegeben. Heute ist klar, dass auch Tonträger unter die Regelung des § 23 fallen, was insbesondere für Inhalte auf Upload-Plattformen relevant wird.

Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke vs. gemeinfreie Quellen

Eine zustimmungspflichtige Bearbeitung setzt voraus, dass urheberrechtlich geschützte Werke verwendet werden. Gemeinfreie Werke, d.h. Werke, deren Schutzfrist abgelaufen ist, sowie Werke, die nicht urheberrechtlich geschützt sind (wie z.B. Ideen, Motive, wissenschaftliche Lehren oder Theorien), dürfen von jedermann uneingeschränkt in neuen Werken verwendet werden. Eine erlaubte Nutzung liegt auch dann vor, wenn Teile aus einem älteren Werk in das neue Werk übernommen wurden, die nicht urheberrechtlich geschützt sind.

Nicht urheberrechtlich geschützt sind beispielsweise der Stil oder die Technik, in der ein Werk geschaffen wurde. Das Urheberrecht schützt keinen bestimmten Stil oder eine bestimmte Technik. Der ursprüngliche Urheber kann sich daher nicht gegen neue Werke wehren, die sich stilistisch auf ihn beziehen, solange keine konkreten Teile seines Werkes übernommen werden. Eine falsche Zuordnung solcher Werke kann jedoch das Persönlichkeitsrecht des ursprünglichen Urhebers verletzen.

Übernimmt ein Künstler Elemente eines urheberrechtlich geschützten Werkes, die der Urheber selbst aus gemeinfreien (historischen) Quellen entnommen hat, stellt auch dies keine Urheberrechtsverletzung dar. Gemeinfreie Werke bleiben frei und können durch ihre Verwendung in einem neuen Werk nicht erneut urheberrechtlich geschützt werden.

👉 Beispiel: Wenn ein Maler eine Figur aus einem historischen Gemälde kopiert, erlangt er keinen Urheberrechtsschutz für diese Figurendarstellung. Ein anderer Maler darf diese Figur erneut kopieren und in sein eigenes Werk integrieren. Dies gilt aber nur für das gemeinfreie Werk. Die konkrete Umsetzung des ersten Malers kann wiederum urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie als Bearbeitung anzusehen ist.

Wann liegt eine Bearbeitung und wann eine freie Benutzung vor?

Wenn ein neues Werk Elemente eines älteren urheberrechtlich geschützten Werkes übernimmt, sind die Anforderungen an eine „freie Benutzung“ sehr hoch. Die übernommenen Teile müssen sich so in das neue Werk einfügen, dass sie nicht das Hauptmerkmal des neuen Werkes bilden. Bei der Beurteilung, ob eine Bearbeitung vorliegt, stehen nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten der Werke im Vordergrund. Entscheidend ist, wie viele und welche geschützten Teile des ursprünglichen Werkes in das neue Werk übernommen werden.

Eine freie Benutzung liegt demnach vor, wenn das Originalwerk lediglich als Anregung dient und sich die Neuschöpfung so weit vom Original entfernt, dass dieses nur noch am Rande erkennbar ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) betont, dass für eine freie Benutzung „die eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes zurücktreten“ müssen.

Die Übertragung eines Werkes in eine andere Kunstform ist häufig, aber nicht immer, ein Indiz dafür, dass das neue Werk nicht in den Schutzbereich des ursprünglichen Werkes fällt. Entscheidend ist auch hier, ob die charakteristischen Züge des alten Werkes im neuen Werk verblassen.

👉 Beispiel: Wird ein Foto als Vorlage für ein Gemälde verwendet und werden dabei charakteristische Elemente (Motiv, Bildaufbau, Farben, Licht, Schattenwurf) übernommen, so stellt das Gemälde lediglich eine Bearbeitung des Fotos dar.

Wichtige Punkte zur "Bearbeitung":

Verfilmungen, Architektur und Datenbanken
: Bereits die Herstellung der Bearbeitung oder Umgestaltung dieser Werke bedarf der Zustimmung des Urhebers. Dies gilt auch bei Änderungen im privaten Bereich.

Veröffentlichung und Verwertung: Jede Veröffentlichung und Verwertung einer Bearbeitung oder Umgestaltung bedarf der Erlaubnis des Urhebers des Originalwerks. Dies gilt unabhängig davon, ob das Originalwerk bereits veröffentlicht wurde oder nicht.

Praktische Beispiele:

Übernahme von Comicfiguren: Werden die Gesichtszüge und typischen Merkmale einer urheberrechtlich geschützten Comicfigur (z.B. Asterix) in einem neuen Comic übernommen, reicht es nicht aus, die Figur einfach in einen anderen Kontext zu stellen (z.B. Neuzeit statt Antike). Eine solche Verwendung ist in der Regel urheberrechtlich geschützt, und eine bloße Übertragung in einen neuen Kontext wäre eine unzulässige Bearbeitung.

Verwendung literarischer Figuren: Dient eine literarische Figur als Vorlage für ein Karnevalskostüm, so ist dies zulässig, solange nur die äußeren Merkmale übernommen werden, da diese allein nicht urheberrechtlich geschützt sind. Werden jedoch wesentliche äußere und charakterliche Merkmale der Figur erkennbar in eine Neuschöpfung, z.B. ein Lied, übernommen, liegt eine unzulässige Bearbeitung vor:

Fortsetzungen und Fortentwicklungen: Fortsetzungen von Romanen oder anderen literarischen Werken greifen in den Schutzbereich des Originals ein, wenn sie unmittelbar an dessen Figuren und Handlungsstränge anknüpfen. Dies gilt auch für Fortsetzungen von Kunstwerken, z.B. wenn ein Kunstdruck so erweitert wird, dass der Eindruck entsteht, das Kunstwerk gehe über den Bildrand hinaus weiter:

Veränderungen an Werken der angewandten Kunst: Bei Werken der angewandten Kunst, die nur eine geringe gestalterische Eigenart aufweisen, kann eine Veränderung, z. B. eine andere Farbwahl, dazu führen, dass die ursprünglichen Merkmale verblassen und eine freie Benutzung vorliegt.

Fotografische Dokumentation von Performances: Ob eine fotografische Dokumentation einer Aufführung als freie Benutzung anzusehen ist, hängt vom Einzelfall ab. Entscheidend ist, ob der Fotograf eigene Gestaltungsmöglichkeiten nutzt und prägende Elemente der Darbietung nicht wiedergibt.

Weiterentwicklung von Musikwerken: Die Weiterentwicklung eines Musikstücks, z.B. eines einfachen Jingles, kann außerhalb des urheberrechtlichen Schutzbereichs des Originals liegen, solange das neue Werk nur lose an das ursprüngliche Thema anknüpft und keine wesentlichen Übereinstimmungen in den geschützten Elementen aufweist.

Verfilmung von literarischen Werken: Wird in einem Film die Handlung eines Romans mit hoher schöpferischer Eigenart übernommen, liegt in der Regel eine unzulässige Bearbeitung vor, auch wenn die Handlung geringfügig verändert oder zusätzliche Handlungsstränge eingefügt werden. Werden jedoch nur allgemeine, nicht geschützte Elemente, wie z. B. eine Eiszeit, übernommen, kann dies eine zulässige Benutzung darstellen.

Anlehnung an architektonische Entwürfe: Wenn ein Architekt ein Nebengebäude entwirft, das sich stark an das vom ursprünglichen Architekten entworfene Hauptgebäude anlehnt, kann dies eine unzulässige Bearbeitung darstellen, insbesondere wenn das Konzept und die Gestaltung weitgehend übernommen werden.

Fazit

⚖️ Die Grenzen zwischen einer zulässigen freien Benutzung und einer zustimmungsbedürftigen Bearbeitung sind oft fließend. Ob eine Bearbeitung oder eine freie Benutzung vorliegt, ist im Einzelfall durch einen Vergleich des Originals mit dem nachgebildeten Werk zu prüfen. Pauschale Aussagen sind daher nicht möglich.

📚 Im Zweifelsfall sollte juristischer Rat eingeholt werden. Es ist jedoch schwierig vorherzusagen, ob ein Gericht von einer freien Benutzung oder einer Bearbeitung ausgehen wird, da die Abgrenzung zwischen diesen beiden Begriffen von vielen subjektiven Faktoren abhängt. Die Hauptgründe hierfür sind:

Subjektive Beurteilung durch das Gericht: Die Beurteilung, ob ein neues Werk einen „ausreichenden Abstand“ zum Originalwerk aufweist, ist eine subjektive Entscheidung. Der Richter muss abwägen, ob die übernommenen Elemente des älteren Werks im neuen Werk so präsent sind, dass sie das neue Werk prägen, oder ob sie verblassen und das neue Werk eine eigenständige Schöpfung darstellt. Diese Beurteilung kann je nach Richter unterschiedlich ausfallen.

Fehlen klarer Kriterien: Es gibt keine festen, objektiven Kriterien, die eindeutig festlegen, wann eine Bearbeitung und wann eine freie Benutzung vorliegt. Die Rechtsprechung bietet zwar Anhaltspunkte, diese sind jedoch oft allgemein gehalten und lassen viel Raum für Interpretationen.

Unterschiedliche Werkarten: Je nach Werkart (z. B. Musik, bildende Kunst, Literatur) gelten unterschiedliche Kriterien, was die Anwendung allgemeiner Regeln zusätzlich erschwert. So kann ein Musikwerk anders bewertet werden als ein literarisches Werk, auch wenn beide ähnliche Elemente enthalten.

Einzelfallbetrachtung: Gerichte entscheiden solche Fragen immer anhand des konkreten Einzelfalls. Das bedeutet, dass selbst ähnliche Fälle unterschiedlich entschieden werden können, je nach den spezifischen Umständen und der Präsentation des Falles vor Gericht.

Sachverständige und technische Komplexität: Gerade bei komplexen Werken wie Musik oder Filmen ist es oft notwendig, Sachverständige zur Beurteilung von Details heranzuziehen. Diese Gutachten können unterschiedlich ausfallen und die Entscheidung des Gerichts beeinflussen.

Kunstfreiheit vs. Urheberrechtsschutz: Die Gerichte müssen zwischen Kunstfreiheit und Urheberrechtsschutz abwägen. Dieser Balanceakt kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nachdem, wie stark das Gericht den Schutz des Originals gegenüber der Freiheit, Neues zu schaffen, gewichtet.

🚨 Bei Urheberrechtsverletzungen drohen nicht nur Abmahnungen, sondern auch hohe Schadensersatzforderungen. So wurde eine Künstler, der mehrere Gemälde des international bekannten Malers Löwentraut nachgemalt hatte, zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 26.000 EUR verurteilt (LG Düsseldorf: Nachmalen von Gemälden).