Das Landgericht Berlin hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Fotografien, auf denen gemeinfreie Werke abgebildet sind, ohne Zustimmung des Fotografen genutzt werden dürfen. Konkret ging es um auf Wikipedia hochgeladene Fotografien von Gemälden, die aufgrund Zeitablaufs selbst keinen Urheberschutz mehr genießen.
Sachverhalt: Nutzung von Fotos gemeinfreier Gemälde auf Wikipedia und Wikimedia
Klägerin ist die Stadt Mannheim, die die international agierenden Reiss-Engelhorn-Museen als Eigenbetrieb führt. Die Beklagten sind Betreiber der Plattform Wikipedia bzw. der Mediendatenbank Wikimedia Commonse. Zur Illustration der Textbeiträge auf Wikipedia werden Fotos aus der Datenbank Wikimedia Commons verknüpft. In dieser Datenbank befanden sich 17 Fotografien gemeinfreier Werke, die zur Illustration von Textbeiträgen auf Wikipedia genutzt wurden. Die Fotos waren 1992 durch einen von der Klägerin beauftragten Museumsfotografen erstellt worden. Aufgabe des Fotografen war es, die Gemälde so originalgetreu wie möglich abzufotografieren. Weitere Fotos ließ die Klägerin von den Gemälden nicht anfertigen. Die Gemälde selbst wurden von Künstlern geschaffen, die seit mehr als 70 Jahren tot sind. Das Urheberrecht an diesen Gemälden war daher erloschen, die Gemälde selbst also gemeinfrei.
Die Klägerin sah durch die Nutzung der Fotografien der Gemälde auf Wikipedia bzw. Wikimedia Commons ihre ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den Fotos verletzt und forderte die Beklagten zur Löschung der Fotos auf. Die Beklagten lehnten diese Forderung ab. Sie vertraten die Ansicht, naturgetreuen Fotografien von gemeinfreien Werken komme kein Urheberrechtsschutz zu, da der eigenständige Schutz naturgetreuer Fotografien von gemeinfreien Werken dem Prinzip der Gemeinfreiheit widersprechen würde. Daher wurden die Fotos auf Wikipedia als „gemeinfrei“ bezeichnet.
Da die Stadt mit einer solchen Fotonutzung auf Wikipedia bzw. Wikimedia nicht einverstanden war, erhob sie schließlich Klage auf Unterlassung beim Landgericht Berlin.
Urteil: Fotos gemeinfreier Werke können urheberrechtlich geschützt sein
Das Landgericht Berlin gab der Klage der Stadt Mannheim statt.
Nach Ansicht des Gerichts können auch an Fotografien gemeinfreier Werke grundsätzlich Urheberrechte entstehen. Daher sei auch in diesem Fall zu prüfen, ob die in Rede stehenden Fotos als Lichtbildwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG), als Lichtbilder (§ 72 UrhG) oder als einfache (Lichtbild-)Kopien nach § 16 UrhG einzuordnen sind. Nur an Lichtbildkopien entstehen keine eigenständigen Rechte.
Naturgetreue Fotos von Gemälden genießen keinen Schutz als Lichtbildwerk
Nach Ansicht des Landgerichts Berlin genießen die Reproduktionsfotos zwar kein Schutz als Lichtbildwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG zu, da es ihnen an der dafür erforderlichen persönlichen geistigen Schöpfung fehle. Die Aufgabe, Gemälde originalgetreu fotografisch abzubilden, erfordere zwar eine technisch saubere Umsetzung und damit handwerkliches Geschick, es bestehe dabei jedoch gerade kein für den Werkschutz erforderlicher schöpferischer Gestaltungsspielraum:
"Fotos sind als Lichtbildwerke geschützt, wenn sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers sind. (...) Die Klägerin beansprucht dies vor allem wegen des technisch handwerklichen Aufwands. Dem ist nicht zu folgen.
Der Gestaltungsspielraum des Museumsfotografen war durch die Aufgabe, eine möglichst originalgetreue Reproduktion des Gemäldes anzufertigen, um es in einem Museumskatalog abbilden zu können, auf eine technisch saubere Umsetzung beschränkt. Es war bereits vorgegeben, dass das Gemälde frontal und ohne Beiwerk zu fotografieren ist und dass Verfremdungen durch Lichteinfall, Farbverschiebungen usw. möglichst auszuschließen sind. Die Entscheidung, mit welcher Beleuchtung und Belichtung diese Aufgabe gelöst wird, ist rein handwerklicher Art. Eine gute handwerkliche Umsetzung einer Reproduktion ist jedoch von jedem professionellen Museumsfotografen in gleicher Weise zu erwarten, ohne dass es einen gestalterischen Spielraum gibt, die Reproduktion so oder so zu fotografieren, denn das Ergebnis soll möglichst originalgetreu sein, so dass Abweichungen zwischen mehreren von verschiedenen Fotografen angefertigten Reproduktionsfotos primär technischer und handwerklicher Natur sind, aber nicht Ausdruck einer eigenen Gestaltung. Einer rein handwerklichen Leistung fehlt unabhängig von ihrer technischen Qualität grundsätzlich die für ein Lichtbildwerk erforderliche Individualität. Konkrete, auf die einzelnen Fotos bezogene Umstände für eine Ausnahme im Einzelfall hat die Kl. nicht dargetan, denn sie bezieht sich nur auf den allgemeinen technischen Ablauf einer Reproduktionsfotografie. Demnach scheidet eine Qualifizierung als Lichtbildwerk aus.“
Naturgetreue Fotos von Gemälden können als Lichtbilder geschützt sein
Jedoch bejahte das Gericht einen Schutz der Fotos als Lichtbild nach § 72 UrhG. Lichtbilder sind Fotos jeglicher Art, welche die Werkqualität nicht erreichen. Geschützt wird nicht eine schöpferische, sondern eine rein technische Leistung, ohne dass es auf die Fähigkeiten und die Technik der Fotoaufnahme ankommt. Danach bedarf es für einen Lichtbildschutz keiner schöpferischen, sondern (nur) einer persönlichen geistigen Leistung. Solche Leistungen sah das Landgericht vorliegend als gegeben:
„Jedem fotografischen Laien ist bekannt, dass eine farb- und kontrastgetreue [...] Wiedergabe eines Gemäldes [...] nicht ‚einfach so‘ [...] durch spontanes Abknipsen erzielt werden kann.“ Das „Mehr“, das dafür erforderlich sei - etwa die richtige Positionierung, sowie die Einstellung des Lichts -, genüge für einen Lichtbildschutz.“
Gemeinfreies Motiv steht Schutz des Fotos durch Urheberrecht nicht entgegen
Dass die auf den Fotografien jeweils abgebildeten Gemälde selbst nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, stehe dem Schutz als Lichtbild nicht entgegen. Weder das Fotografierverbot im Museum noch die Sozialbindung des Eigentums oder die Informationsfreiheit könnten eine Einschränkung des Lichtbildschutzes begründen. Entgegen der Ansicht von Wikipedia führe dies auch nicht zu einer ungerechtfertigten Verlängerung der Schutzfrist gemeinfreier Werke. Der Lichtbildschutz für Reproduktionsfotografien führe nämlich nicht dazu, dass an dem gemeinfreien Werk selbst ein „neuer“ Schutz entstünde und diese remonopolisiert würden. Die Originale könnten trotz Lichtbildschutz erneut abfotografiert werden.
Da die auf Wikipedia hochgeladenen Fotos Schutz als Lichtbilder nach § 72 UrhG genossen, verletzte die Nutzung der Fotografien auf Wikipedia ohne Zustimmung der Klägerin die ihr ausschließlich zustehenden urheberrechtlichen Nutzungsrechte.
Landgericht Berlin, Urteil vom 31.5.2016, 15 O 428/15
Hinweis: Die Beklagten haben Berufung beim Kammergericht eingelegt; die Berufung wird unter dem Az. 24 U 126/16 geführt. Demzufolge ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Fall hoch bis zum BGH geht.
Update: Mittlerweile hat auch das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 27.9.2016, 17 O 690/15) in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass Fotos von Kunstwerken (dort Vasen), die selbst keinen Urheberschutz mehr beanspruchen können, urheberrechtlich geschützt sein können.
Fazit:
Auch naturgetreue Fotografien von gemeinfreien Werken können urheberrechtlich geschützt sein.
Ebenso wie bei anderen Fotografien ist daher zu prüfen, ob die Fotos Schutz als Lichtbildwerk oder als Lichtbild genießen oder es sich bei diesen nur um ungeschützte Lichtbildkopien handelt.
Naturgetreue fotografische Abbildungen von Gemälden genießen mangels schöpferischer Leistung keinen Schutz als Lichtbildwerk.
Um als Lichtbild nach § 72 UrhG geschützt zu sein, müssen Fotografien ein Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung erreichen.
Für die Einordnung als geschütztes Lichtbildwerk oder Lichtbild ist es unerheblich, ob das Fotomotiv selbst ein gemeinfreies Werk zeigt.