In einer Zeit, in der sich Nachrichten schneller verbreiten als je zuvor, stehen die Medien oft vor der Herausforderung, über Verdachtsfälle zu berichten, ohne dabei die Rechte der Betroffenen zu verletzen. Diese Gratwanderung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte wird als "Verdachtsberichterstattung" bezeichnet. In diesem Beitrag soll näher beleuchtet werden, welche Grundsätze und Regeln bei der Verdachtsberichterstattung zu beachten sind, um sowohl dem journalistischen Auftrag gerecht zu werden, die Rechte Betroffener zu wahren und somit rechtliche Risiken zu minimieren.
Was ist Verdachtsberichterstattung?
Von einer "Verdachtsberichterstattung" spricht man, wenn Medien über Ereignisse oder Vorgänge berichten, deren Wahrheitsgehalt noch nicht abschließend geklärt ist. Häufig handelt es sich um Berichte über laufende Ermittlungsverfahren oder andere Vorgänge, die sich negativ auf das Ansehen und den Ruf einer Person auswirken können.
Klassisches Beispiel: Ein Zeitungsartikel über einen Politiker, gegen den Korruptionsvorwürfe erhoben werden, ohne dass bereits ein Gerichtsurteil vorliegt. Oder ein Online-Bericht über einen Prominenten, der der Steuerhinterziehung verdächtigt wird, während die Ermittlungen noch laufen.
Warum ist Verdachtsberichterstattung wichtig?
Die Verdachtsberichterstattung ist ein wichtiges Instrument des investigativen Journalismus, das es den Medien ermöglicht, über mögliche Missstände zu berichten, auch wenn der Sachverhalt noch nicht vollständig geklärt ist. Diese Art der Berichterstattung ist für die öffentliche Meinungsbildung und die Aufdeckung von Skandalen in Politik und Wirtschaft von großer Bedeutung.
Viele große Affären wie Watergate in den USA oder der Parteispendenskandal in Deutschland wurden durch Verdachtsberichterstattung aufgedeckt. Der dadurch erzeugte Druck kann dazu führen, dass Behörden Ermittlungen aufnehmen und die Vorfälle aufgeklärt werden. Die Medien können so ihrer Aufgabe als "Wächter" der Demokratie gerecht werden.
Risiken und Folgen der Verdachtsberichterstattung
Die Verdachtsberichterstattung birgt aber auch Risiken und kann schwerwiegende Folgen für Betroffene nach sich ziehen. Wer einmal in der Öffentlichkeit unter Verdacht geraten ist, hat es oft schwer, sich von dem damit verbundenen Makel zu befreien, selbst wenn der Verdacht widerlegt werden kann oder sich zumindest nicht bestätigt.
Die Medien müssen daher sorgfältig zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen abwägen, können die Folgen einer Verdachtsberichterstattung für die Betroffenen gravierend sein:
- Rufschädigung: Auch wenn sich der Verdacht später als unbegründet herausstellt, kann bereits durch die erste Berichterstattung ein erheblicher Schaden entstanden sein.
- Soziale Isolation: Familie, Freunde und Bekannte könnten sich von der Person distanzieren und den Kontakt mit dieser abbrechen.
- Finanzielle Einbußen: Geschäftspartner können die Zusammenarbeit aufkündigen, Kunden abwandern mit der Folge erheblicher finanzieller Einbußen bis hin zum völligen Ruin und zur Insolvenz.
- Berufliche Konsequenzen: Arbeitgeber können das Arbeitsverhältnis beenden, potentielle neue Arbeitgeber informieren sich häufig vor einer Einstellung im Internet und lehnen Bewerbungen des Betroffenen ab.
- Psychische Belastung: Die öffentliche Anprangerung und die damit verbundene Vorverurteilung kann bei den Betroffenen zu erheblichen Belastungen und psychischen Problemen führen, im schlimmsten Fall bis hin zu Suizidgedanken.
Ein bekanntes Beispiel ist der Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann, der 2010 wegen Vergewaltigungsvorwürfen in die Schlagzeilen geriet. Obwohl er später freigesprochen wurde, hatte die intensive und vorverurteilende Berichterstattung erhebliche Auswirkungen auf sein Leben und seine Karriere. Trotz des Freispruchs blieb Kachelmanns Ruf nachhaltig beschädigt und seine Fernsehkarriere erlitt einen irreparablen Schaden.
Anwältin berät bundesweit im Presserecht
Über Sie wird negativ im Internet oder in der Presse berichtet?
Ich berate Sie und helfe Ihnen zügig - Kontaktieren Sie mich jetzt!
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Die Verdachtsberichterstattung ist als Ausfluss des Grundrechts der Presse- und Rundfunkfreiheit grundsätzlich zulässig. Die Rechtsprechung legt den Medien bei der Ausübung dieses Rechts jedoch eine erhebliche Verantwortung auf und knüpft die Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung an eine Reihe von Voraussetzungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen vier wesentliche Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung aufgestellt:
1️⃣ Berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit
2️⃣ Mindestbestand an Beweistatsachen
3️⃣ Einhaltung der journalistischen Sorgfalt
4️⃣ Ausgewogene Darstellung ohne Vorverurteilung
1. Berechtigtes öffentliches Informationsinteresse
Eine Verdachtsberichterstattung ist nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes öffentliches Interesse besteht. Der Gegenstand der Berichterstattung muss von echtem öffentlichen Interesse sein. Belanglosigkeiten, reine Neugierde oder Sensationslust begründen kein berechtigtes öffentliches Interesse.
Es muss sich nicht zwingend um eine Straftat handeln. Auch moralisch oder sozial fragwürdiges Verhalten kann berichtenswert sein. Dabei muss stets eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsschutz der Betroffenen erfolgen.
Das öffentliche Interesse kann sich aus der Art oder Schwere der Tat, deren Auswirkungen oder aus der Prominenz oder Funktion des Betroffenen ergeben. Auch Hintergründe wichtiger politischer Entscheidungen können ein öffentliches Interesse begründen. In folgenden Fällen liegt in der Regel ein öffentliches Interesse vor:
Schwerde der Tat
- Verbrechen (z.B. Mord, Totschlag, Raub, Vergewaltigung)
- Schwerwiegende Wirtschaftsdelikte (z.B. Korruption, Geldwäsche, Steuerbetrug, Bilanzfälschung, Insovenzdelikte)
Art der Tat
- Dopingvorwürfe
- Käuflichkeit von Anlegerschützern
- Stimmenkauf von Abgeordneten
- Verfehlungen von Führungskräften einer Bank
- Politische Bespitzelung (z.B. Fall Barschel)
- Tätigkeit als inoffizieller Stasi-Mitarbeiter
Folgen der Tat (viele Geschädigte, schwere Schäden)
- Wirtschaftsspionage
- Cyberkriminalität
- Anlage- und Finanzierungsdelikte
- Wettbewerbs- und kartellrechtliche Verstöße
Bekannte Personen
Bei bekannten Persönlichkeiten (z.B. Prominente oder Politiker) und Amtsträgern (z.B. hochrangige Beamte oder Unternehmensleiter) ist ein öffentliches Interesse eher gegeben, insbesondere wenn der Verdacht im Zusammenhang mit ihrer Funktion steht. Es ist jedoch in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob ein berechtigtes öffentliches Interesse vorliegt und dieses überwiegt. Dabei ist eine entsprechende Berichterstattung nicht auf besonders schwere Straftaten beschränkt.
So war beispielsweise die öffentliche Berichterstattung über einen Verkehrsverstoß eines Angehörigen des Hochadels (Ernst August Prinz von Hannover) zulässig. Dieser war von der Polizei auf einer französischen Autobahn mit 211 km/h statt der dort erlaubten 130 km/h gemessen und deshalb von einem französischen Gericht unter anderem zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden (BGH, Urteil vom 15.11.2005, VI ZR 286/04). Der Fall wäre möglicherweise anders ausgegangen, wenn der Prinz nur mit 140 km/h geblitzt worden wäre und ein Bußgeld von 40 € hätte zahlen müssen.
2. Mindestbestand an Beweistatsachen
Eine Verdachtsberichterstattung beruht naturgemäß auf Vermutungen und nicht auf gesicherten Tatsachen. Die endgültige Schuld oder Unschuld des Betroffenen steht zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht fest. Dennoch kann eine Verdachtsberichterstattung rechtmäßig sein, wenn der Verdacht nicht völlig aus der Luft gegriffen ist.
Erforderlich ist ein Mindestmaß an konkreten Beweistatsachen, die für die Richtigkeit der Information sprechen und ihr damit "Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Beweistatsachen müssen also den Verdacht in gewissem Umfang erhärten, auch wenn sie für eine abschließende Beurteilung noch nicht ausreichen. Vage Vermutungen reichen dagegen nicht aus.
Die folgenden Beispiele sollen verdeutlichen, wann eine Verdachtsberichterstattung mangels hinreichender Anhaltspunkte unzulässig wäre:
❌ Ein Blogbeitrag über einen Lehrer, dem unangemessenes Verhalten gegenüber Schülern vorgeworfen wird, wenn er sich nur auf anonyme Kommentare in einem Online-Forum oder nicht-verifizierte Social Media Posts stützt.
❌ Eine Reportage über einen Bürgermeister, der Bestechungsgelder angenommen haben soll, wenn sie sich nur auf Gerüchte eines politischen Gegners stützen würde.
❌ Ein Fernsehbericht über einen Restaurantbesitzer, der angeblich abgelaufene Lebensmittel verwendet, wenn er sich ohne weitere Beweise oder Zeugenausagen nur auf die Aussage eines entlassenen Mitarbeiters stützt.
❌ Ein Zeitungsartikel über einen Apotheker, der verdächtigt wird, Medikamente zu strecken, wenn er sich nur auf die Beobachtung eines Kunden stützte, der meinte, seine Tabletten hätten anders ausgesehen als sonst.
Die Anforderungen an die Stichhaltigkeit des Verdachts sind umso höher, je schwerwiegender die möglichen Folgen für den Betroffenen sind.
Bei der identifizierenden Verdachtsberichterstattung über Straftaten sind folgende Punkte zu beachten:
❌ Weder eine bloße Strafanzeige noch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigt in der Regel eine identifizierende Berichterstattung, denn Strafanzeigen kann jeder stellen und die Staatsanwaltschaft ist von Amts wegen zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet, auch wenn eine Straftat nur als entfernte Möglichkeit erscheint.
✔ Anders verhält es sich, wenn ein Verdächtiger in Untersuchungshaft sitzt. In solchen Fällen kann - bei bestehendem öffentlichen Informationsinteresse - eine identifizierende Berichterstattung oft gerechtfertigt sein.
✔ Eine Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen wird regelmäßig eine ausreichende Tatsachengrundlage darstellen. Dies liegt daran, dass für eine Durchsuchung bereits ein gewisser Verdacht vorliegen muss, der durch einen Richter bestätigt wird. Die Durchsuchung selbst stellt somit eine objektive Tatsache dar, die den Verdacht erhärtet und damit eine Verdachtsberichterstattung rechtfertigen kann.
✔ Eine substantiierte Strafanzeige mit diversen Anlagen, Urkunden und Zeugenbenennungen sowie ergangenen zivilrechtlichen Entscheidungen kann eine ausreichende Tatsachengrundlage darstellen.
✔ Eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft kann einen Mindestbestand an Beweistatsachen begründen.
✔ Eine Anklageerhebung begründet in der Regel ein Mindestbestand an Beweistatsachen, denn diese setzt nach § 170 Abs. 1 StPO voraus, dass der Beschuldigte aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (OLG Köln, Urteil vom 18.08.2022, 15 U 258/21).
3. Journalistische Sorgfaltspflicht
Eine Verdachtsberichterstattung ist nur zulässig, wenn die Medien die gebotene Sorgfalt haben walten lassen. Insbesondere bei Vorwürfen strafbarer oder ehrenrühriger Handlungen ist das Schadenspotenzial für die Betroffenen besonders hoch. Je schwerwiegender und nachhaltiger sich der Verdacht auf das Ansehen des Betroffenen auswirken kann, desto höhere Anforderungen sind auch an die Sorgfaltspflicht zu stellen.
Bei der Verdachtsberichterstattung sind daher folgende Regeln zu beachten:
- Der Wahrheitsgehalt der jeweiligen Informationen muss sorgfältig recherchiert werden
- In der Regel ist eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen
- Entlastende Informationen bzw. Aussagen des Betroffenen sind zu berücksichtigen
- Sorgfältige Interessenabwägung, ob trotz ungesicherter Verdachtslage die Veröffentlichung des Verdachts gleichwohl gerechtfertigt ist
Recherche und Abwägung
Die Intensität der Recherche muss der Schwere des Vorwurfs entsprechen - je gravierender, desto gründlicher. Dabei müssen alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgeschöpft werden. Im Folgenden sind die wichtigsten Grundsätze aufgeführt, die bei der Recherche zu beachten sind:
- Beide Seiten der Medaille betrachten: Ein ausgewogenes Bild entsteht nur, wenn Informationen recherchiert werden, die einen Verdacht sowohl erhärten als auch entkräften können. Diese Ausgewogenheit ist entscheidend für eine faire Berichterstattung.
- Eigenrecherche: Grundsätzlich darf man sich nicht einach auf die Aussagen anderer verlassen, sondern muss die Fakten selbst recherchieren und diese im Zweifel vor Gericht beweisen.
- Überprüfung der Information: Jede Information ist sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Umfang dieser Prüfung hängt von der Zugänglichkeit und der Komplexität des Sachverhalts ab.
- Abwägung: Gegen eine Verdachtsberichterstattung kann sprechen, wenn über einen Verdacht berichtet wird, der bereits Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens war, ohne dass sich Anhaltspunkte für seine Richtigkeit ergeben haben oder ein Verdacht im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht mehr aktuell ist und sich seit seiner Entstehung weder bestätigt noch erhärtet hat.
Anhörung des Betroffenen
Die Anhörung des Betroffenen ist ein wichtiger Bestandteil der journalistischen Sorgfaltspflicht bei der Verdachtsberichterstattung. Sie dient dem Schutz der Betroffenen, der Qualität der Berichterstattung und letztlich auch den Medien selbst. Die Anhörungspflicht gilt jedoch nicht absolut, auch hier gibt es Ausnahmen von der Regel.
Anhörung ist die Regel: Vor der Veröffentlichung einer Verdachtsberichterstattung muss dem Betroffenen die Gelegenheit gegeben werden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dies dient dazu, seine Sichtweise in die Berichterstattung einzubeziehen und eventuell zusätzliche Informationen zu erhalten. Gleichzeitig kann die Reaktion des Betroffenen selbst eine berichtenswerte Nachricht sein. Für die Medien hat die Anhörung zudem den Vorteil, dass sie ihr Haftungsrisiko reduzieren können.
- Wird dem Betroffenen eine zu kurze Frist zur Stellungnahme eingeräumt oder seine Bitte um Fristverlängerung ignoriert, stellt dies eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht dar.
- Der Betroffene muss mit den konkreten Verdachtsmomenten, über die berichtet werden soll, konfrontiert werden; allgemeine Fragen oder die Bitte um ein Interview, in dem er unvorbereitet mit der Verdachtslage konfrontiert wird, reichen nicht aus.
- Ist eine Konfrontation nicht möglich, etwa weil der Betroffene nicht erreichbar ist oder die erbetene Stellungnahme verweigert, müssen sich die Medien bei der Ermittlungsbehörde, die den Verdacht ursprünglich verbreitet hat, vergewissern, ob der Verdacht noch besteht.
Ausnahmen von der Anhörungspflicht: In bestimmten Fällen kann die Pflicht zur Konfrontation des Betroffenen entfallen, so etwa in folgenden Fällen:
- Der Betroffene hat bereits im Vorfeld eindeutig zu erkennen gegeben hat, keine Stellung nehmen zu wollen
- Der Betroffene hat sich bereits öffentlich zu dem Vorgang in einem bestimmten Sinne geäußert
- Bei Bestehen der Gefahr, dass ein Verdächtiger durch die Anhörung gewarnt wird und fliehen könnte
Rein taktische Erwägungen, wie etwa die Befürchtung, der Betroffene könne eine einstweilige Verfügung erwirken, reichen dagegen nicht aus, um ein Absehen von einer gebotenen Anhörung zu rechtfertigen. Ebenso wenig, dass man bei vernünftiger Prognose mit einem Dementi rechnen müsse.
Keine Pflicht zur Stellungnahme: Der Betroffene ist nicht verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben. Weigert er sich oder antwortet er nicht, darf dies nicht als Indiz für die Richtigkeit der Behauptung gewertet werden. Äußert sich der Betroffene, so ist der wesentliche Inhalt seiner Stellungnahme richtig und in angemessenem Umfang wiedergegeben werden.
Beispiele für ungenügende Recherchen:
❌ Ein Magazin veröffentlicht einen Artikel über angebliche Steuerhinterziehung eines Unternehmers, basierend nur auf anonymen Hinweisen, ohne die Steuerbehörden oder den Beschuldigten zu kontaktieren.
❌ Eine Zeitung berichtet über Korruptionsvorwürfe gegen einen Lokalpolitiker, stützt sich dabei aber ausschließlich auf Gerüchte in sozialen Medien, ohne offizielle Quellen zu konsultieren.
❌ Ein Online-Portal veröffentlicht Vorwürfe über Tierquälerei in einem Zuchtbetrieb, basierend auf einem einzigen, unscharfen Foto, ohne vor Ort zu recherchieren und den Betreiber zu befragen.
❌ Eine Lokalzeitung druckt einen Artikel über mutmaßlichen Abrechnungsbetrug eines Arztes, basierend nur auf der Aussage eines ehemaligen, im Streit geschiedenen Angestellten, ohne weitere Beweise oder Zeugen zu suchen.
4. Ausgewogene und faire Darstellung
Die Berichterstattung muss ausgewogen sein, darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten und nicht den Eindruck erwecken, er sei bereits der Tat überführt. Der Bericht muss daher alle relevanten Informationen enthalten, einschließlich entlastender Umstände. Unsicherheiten müssen klar benannt werden. Vermutungen dürfen nicht als Tatsachen dargestellt werden. Der Bericht darf lediglich den Eindruck eines offenen, noch nicht geklärten Verdachts vermitteln.
Unschuldsvermutung: Insbesondere ist die Unschuldsvermutung zu beachten, da eine vorverurteilende identifizierende Berichterstattung scherwiegende Folgen für den Betroffenen haben kann. So darf in einem Artikel, in dem über den Verdacht einer Straftat berichtet wird, der Betroffene nicht als "Täter", sondern nur als "mutmaßlicher Täter" oder "Verdächtiger" bezeichnet werden.
Beispiele für eine unausgewogene Berichterstattung:
❌ Ein Artikel, der einen Politiker als "korrupt" bezeichnet, ohne dass eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Stattdessen sollte von "Korruptionsvorwürfen" oder "mutmaßlicher Korruption" gesprochen werden.
❌ Eine Schlagzeile, die lautet: "Prominenter Arzt vergiftet Patienten", obwohl nur Ermittlungen laufen. Richtig wäre: "Ermittlungen gegen prominenten Arzt wegen Verdachts auf Patientengefährdung".
❌ Ein Bericht, der einen Unternehmer als "Betrüger" bezeichnet, obwohl noch kein Urteil vorliegt. Korrekt wäre "des Betrugs verdächtiger Unternehmer".
❌ Eine Nachrichtensendung, die einen Sportler als "Dopingsünder" bezeichnet, obwohl die B-Probe noch aussteht. Stattdessen sollte von einem "Dopingverdacht" gesprochen werden.
Wann ist eine Verdachtsberichterstattung zulässig?
Eine Verdachtsberichterstattung ist zulässig, wenn alle vier oben genannten Kriterien erfüllt sind. Zusätzlich spielt die Schwere des Vorwurfs eine Rolle: Je schwerwiegender der Verdacht, desto höher sind die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Medien.
Beispiel einer zulässigen Verdachtsberichterstattung:
Ein investigatives Nachrichtenmagazin berichtet über Korruptionsvorwürfe gegen einen Bundesminister. Aufgrund der Stellung des Ministers und der Schwere der Vorwürfe besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Die Redaktion stützt sich auf mehrere unabhängige Quellen, darunter interne Dokumente und Aussagen von Insidern. Vor der Veröffentlichung wird dem Minister ausreichend Zeit für eine Stellungnahme gegeben. Der Artikel stellt klar, dass es sich um Vorwürfe handelt und die Ermittlungen noch laufen.
Wann ist eine Verdachtsberichterstattung unzulässig?
Eine Verdachtsberichterstattung ist unzulässig, wenn eines oder mehrere der oben genannten Kriterien nicht erfüllt sind. Wurde dem Betroffenen keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, ist die Verdachtsberichterstattung schon aus diesem Grund unzulässig.
Beispiel einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung:
Eine Lokalzeitung berichtet über den Verdacht, dass ein Gemeinderatsmitglied Gelder veruntreut haben soll. Der Artikel beruht lediglich auf einem anonymen Hinweis, ohne dass weitere Recherchen angestellt wurden. Dem Betroffenen wurde keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Überschrift "Korrupter Gemeinderat entlarvt" erweckt den Eindruck einer bereits erwiesenen Schuld.
Fachanwältin bietet Soforthilfe
Sie haben ein rechtliches Problem? Brauchen rechtliche Beratung?
Ich helfe und finde eine Lösung - Kontaktieren Sie mich jetzt!
Ansprüche bei unzulässiger Verdachtsberichterstattung
Im Falll einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung können dem Betroffenen folgende Ansprüche zustehen:
- Unterlassungsanspruch: Der Betroffene kann verlangen, dass die weitere Berichterstattung unterlassen wird.
- Gegendarstellungsanspruch: Der Betroffene kann eine Richtigstellung verlangen.
- Widerrufsanspruch: Die Veröffentlichung muss zurückgenommen werden.
- Beseitigungsanspruch: Der Bericht muss überall gelöscht werden.
- Berichtigungs- oder Ergänzungsanspruch: Der Bericht muss berichtigt oder ergänzt werden.
- Schadensersatzansprüche: Hierunter fallen insbesondere Anwaltskosten (Abmahnkosten).
- Geldentschädigung (Schmerzensgeld): Bei schwerwiegenden Verletzungen des Persönlichkeitsrechts kann der Betroffene für immaterielle Schäden eine Geldentschädigung verlangen. Die Höhe richtet sich nach der Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Diese Ansprüche können sowohl außergerichtlich durch eine Abmahnung als auch gerichtlich geltend gemacht werden. Wegen der Dringlichkeit wird der Unterlassungsanspruch häufig im Eilverfahren durchgesetzt.
Verdachtsberichterstattung: Gratwanderung zwischen Informationsrecht und Persönlichkeitsschutz
Für Journalisten und Blogger: Sie tragen eine große Verantwortung. Die Berichterstattung über Verdachtsfälle erfordert höchste Sorgfalt und ethisches Bewusstsein. Die folgenden vier Fragen sollten Sie sich immer stellen:
1️⃣ Gibt es ein echtes öffentliches Interesse?
2️⃣ Haben Sie gründlich recherchiert und dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben?
3️⃣ Liegt ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor?
4️⃣ Berichten Sie ausgewogen, vermeiden Sie Vorverurteilungen?
Nur wenn Sie dies mit gutem Gewissen bejahen können, können Sie sich auf eine zulässige Verdachtsberichterstattung berufen.
Für Betroffene: Als Betroffener sind Sie einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung nicht schutzlos ausgeliefert. Wenn Sie Gegenstand einer Verdachtsberichterstattung sind, haben Sie Anspruch auf:
1️⃣ eine sorgfältig recherchierte und ausgewogene Darstellung
2️⃣ die Möglichkeit zur Stellungnahme
3️⃣ auf Achtung der Unschuldsvermutung
4️⃣ ein Mindestbestand an Beweistatsachen
Bei Verstößen gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung können und sollten Sie unverzüglich rechtliche Schritte zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte einleiten.