Das Landgericht Ingolstadt hatte zu entscheiden, ob ein Unternehmensleitfaden zu gendersensibler Sprache das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Mitarbeitern verletzt. Das Gericht verneinte eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da der Leitfaden nur eine passive Nutzung vorsah, z.B. durch Zusendung von Dokumenten und E-Mails in gendersensibler Sprache an Mitarbeiter. Ob eine Pflicht zur aktiven Nutzung von gendersensibler Sprache durch Mitarbeiter in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreift, konnte das Gericht offen lassen.
Sachverhalt: Mitarbeiter wehrt sich gegen Unternehmensleitfaden zu gendersensibler Sprache
Der Kläger ist Angestellter der V-AG, die Beklagte ist eine 100%ige Tochter der V-AG (AUDI) und zusammen mit ihr und weiteren Automarken Mitglied des V-Konzerns. Auf Konzernebene existieren markenübergreifende Gremien, in denen der Kläger als Vertreter der V-AG mit Mitarbeitern der Beklagten in Berührung kommt.
Die Beklagte entwickelte in Umsetzung einer Diversity & Inclusion Unternehmensrichtlinie einen Leitfaden für gendersensible Sprache. Der Leitfaden führt unter „01. Zielsetzung“ Folgendes aus:
„[…] Als internationales Unternehmen mit rund 87.000 Mitarbeitenden und weltweit jährlich 1,7 Millionen Kund_innen hat A mit seinen Wertevorstellungen eine besondere Vorbildfunktion in den großen sozialen Debatten unserer Zeit. Dabei spielen Inclusion, Chancengleicheit und Gendergerechtigkeit eine besonders wichtige Rolle. Dafür gibt es auch einen gesetzlichen Rahmen: Die A-AG ist durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet, Diskriminierung zu vermeiden und sich aktiv für Chancengleichheit einzusetzen. Ein Aspekt von Inclusion ist die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel. Sprache kann Menschen explizit ausschließen, sie bildet soziale und gesellschaftliche Strukturen ab, sie vermittelt Rollenbilder sowie Wertevorstellungen und prägt damit unsere Wahrnehmung. Deswegen hat sich A dazu entschlossen, intern wie extern eine gendersensible Schreibweise zu verwenden. […]“
Der Kläger forderte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben auf, die Anwendung des Leitfadens zu gendersensibler Sprache auf ihn zu unterlassen und eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben. Die Beklagte lehnte dies ab.
Daraufhin erhob der Kläger Unterlassungsklage vor dem Landgericht Ingolstadt. Er vertritt die Ansicht, dass die Verwendung des Gender-Gaps und die damit einhergehende Weglassung männlicher Beugungsendungen sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität verletze. Die Verwendung des Gender-Gaps rufe bei vielen Menschen die Vorstellung einer vorwiegend oder sogar ausschließlich weiblichen Personengruppe hervor. Es ergäben sich Wortverstümmelungen, die eine latent beleidigende Wirkung entfalten könnten.
Urteil: Unternehmensinterner Leitfaden bzgl. passiver Nutzung zu gendersensibler Sprache zulässig
Das Gericht wies die Unterlassungsklage ab, da der Kläger nicht zur aktiven Nutzung des Leitfadens verpflichtet war und die passive Nutzung des Leitfadens ihm gegenüber nicht sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt.
Leitfaden sah keine aktive Nutzung zur gendersensiblen Sprache durch Mitarbeiter vor
Mangels Verpflichtung des Klägers zur aktiven Nutzung des Gender-Gaps durch eine entsprechende Vorgabe im Leitfaden fehlte dem Kläger insoweit die Aktivlegitimation:
„Diese würde nach Auffassung der Kammer eine Betroffenheit des Klägers durch eine wie auch immer geartete Verpflichtung voraussetzen, den Leitfaden und die in ihm entwickelten Grundsätze anzuwenden.
Soweit sich der Kläger durch eine in verpflichtende Erklärung der Beklagten zur aktiven Nutzung verpflichtet sieht, liegt hierzu bereits kein substantiierter Sachvortrag der Klägerseite vor.
Eine etwaige Verpflichtung zur aktiven Nutzung durch den Kläger ergibt sich auch nicht aus dem Leitfaden selbst. (…) Ausweislich des Wortlauts richtet sich damit die Ansprech-Wirkung des Leitfadens hinsichtlich der aktiven Nutzung der gendersensiblen Sprache ausschließlich an die eigenen Mitarbeiter der Beklagten.
Eine Verpflichtung zur aktiven Nutzung sowie zur verpflichtenden Anwendung des Leitfadens im Hinblick auf die Klagepartei ergibt sich ferner nicht aus dem Klägervortrag zum sog. Konsensprinzip. (…) Die Existenz eines derartigen Konsensprinzips wurde durch die Beklagte bis zuletzt bestritten. Es bestünden keine Mechanismen, die die Unternehmensrichtlinie eines Konzernunternehmens für die Arbeitnehmer eines anderen Konzernunternehmens verbindlich machten.“
Passive Nutzung von Gender-Gaps gegenüber Mitarbeiter zulässig
Die passive Nutzung (“an ihn gerichtete Kommunikation“) der gendersensiblen Sprache, basierend auf dem Leitfaden der Beklagten, gegenüber dem klagenden Mitarbeiter verletzt diesen nach Ansicht des Gerichts nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht:
„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verpflichtet die Beklagte nicht generell, den Kläger im geschäftlichen Verkehr mit einer grammatisch männlichen Personenbezeichnung zu erfassen.
Die geschlechtliche Identität ist zwar vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität eine besondere Bedeutung zu. Sie nimmt eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Zum Schutzbereich gehört auch, die betroffene Person entsprechend ihrem gewählten Rollenverständnis anzureden und anzuschreiben (…). Eine Person darf deshalb nicht entgegen ihrem Rollenverständnis angeredet und angeschrieben werden (…). Maßgeblich ist insoweit der allgemeine deutsche Sprachgebrauch (…).
Die Wahrung der Persönlichkeit ist hingegen dann nicht spezifisch gefährdet, wenn die Geschlechtszugehörigkeit nicht angegeben oder bezeichnet wird und die konkrete Geschlechtszugehörigkeit einer Person keinen Niederschlag findet (…).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob hinsichtlich der Klagepartei ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Ausprägung der geschlechtlichen Identität vorliegt, ist die objektive Sicht eines verständigen Dritten, nicht die subjektive Sicht der betroffenen Person (…).
Dabei ist der Leitfaden für gendersensible Sprache so auszulegen, wie er von verständigen, normalerweise beteiligten Verkehrskreisen verstanden wird. Die Mitglieder der Kammer sind den vorgenannten Kreisen zugehörig, sodass sie sich hierüber auch eine Vorstellung verschaffen können.
Übertragen auf den vorliegenden Fall lässt sich feststellen, dass somit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität durch die Beklagte vorliegt. Durch die Verwendung der auf Grundlage des Leitfadens der Beklagten entwickelten gendersensiblen Sprache bzw. des Gender-Gaps erfolgt kein Eingriff in den Schutzbereich.
Der Kläger ist zwar unstreitig der passiven Nutzung der gendersensiblen Sprache, basierend auf dem entsprechenden Leitfaden der Beklagten, ausgesetzt. Er erfährt aber allein dadurch, dass die Beklagte ihm gegenüber beispielsweise Dokumente verwendet, in denen sie - auf Grundlage des entsprechenden Leitfadens - eine gendersensible Sprache bzw. den Gender-Gap verwendet und der Kläger damit jedenfalls teilweise nicht (auch) mit ausdrücklich grammatisch männlicher Personenbezeichnung erfasst wird, keine spezifische Gefährdung der Wahrung seiner Persönlichkeit.
Aus Sicht der Kammer ist dem Kläger zuzugeben, dass die im Leitfaden für Mitarbeiter der Beklagten empfohlene gendersensible Sprache sowie das Sprachverständnis keineswegs dem üblichen deutschen Sprachgebrauch entspricht (…). Dieser Umstand allein begründet allerdings (noch) keine Verletzung der geschlechtlichen Identität.
In der Gesamtschau - auch unter Zugrundelegung der im Tatbestand zitierten Zielsetzung des Leitfadens - ist nicht zu erkennen, dass durch die Verwendung des Gender-Gaps eine Diskriminierung oder ein Ausschluss männlicher Personen wie des Klägers erreicht werden soll. Vielmehr ist der Kläger als männliche Person weiterhin von den - wenn auch durchaus gewöhnungsbedürftigen und nur mit Mühe lesbaren - Formulierungen mit „Gender-Gap“ weiterhin umfasst - auch wenn er als männliche Person nicht explizit ge- bzw. benannt wird, mag im Einzelfall auch gegenüber der (männlichen) Einzelbezeichnung die Endung in Wegfall geraten. Eine Geringschätzung gegenüber Personen, deren natürliches Geschlecht männlich ist, ist nach Auffassung der Kammer alleine durch die Benennung/Anrede im Zusammenhang mit der weiblichen Anrede und der Anrede der nichtbinären Geschlechter nicht verbunden.“
LG Ingolstadt, Endurteil v. 29.07.2022 – 83 O 1394/21
Hinweis: Der klagende Volkswagen-Mitarbeiter hat gegen das Urteil Berufung beim OLG München eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim OLG München unter dem AZ 21 U 5235/22" geführt.