Dass nicht alle Märchen für Kinder geeignet, dürfte bekannt sein. Viele traditionelle Märchen sind voller Gewalt, Grausamkeit und düsteren Themen, die bei Kinder Angst und Alpträume hervorrufen können. In manchen Märchen folgt ein Mordanschlag auf den nächsten, nicht nur durch die böse Stiefmutter. Aber auch auf Erwachsene können Märchen bedrohlich wirken. Setzt man Märchen als Drohkulisse ein, kann dies sogar eine strafbare Bedrohung sein. So verurteilte das OLG Frankfurt am Main einen Arzt wegen strafbarer Bedrohung mit Totschlag, weil dieser an eine KV Mitarbeiterin einen Auszug aus dem Märchen „Die Gänsemagd“ per E-Mail versendet hat.
Facharzt für Psychiatrie droht in Konfliktsituation durch Märchen
Der Angeklagte ist Facharzt für forensische Psychiatrie und Mitglied der kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Er hatte per E-Mail mit einer Mitarbeiterin der kassenärztlichen Vereinigung Hessen über die Nutzung eines Videodiensteanbieters für Video-Sprechstunden diskutiert. Dabei kam es wohl zu Meinungsverschiedenheiten.
Nachdem sich der Facharzt zunächst in mehreren E-Mails über den Nachnamen der Mitarbeiterin äußerte, übersandte er ihr im Dezember 2021 eine E-Mail, in der er unter anderem schrieb:
"Die falsche Magd, kommt Ihnen da was bekannt vor? In Ihrem Trauerspiel bin ich so etwas wie der 'Alte König' und helfe Ihnen gern mal auf die Sprünge: 'Welches Urteils ist diese würdig?'"
Dann zitierte er aus dem Märchen „Die Gänsemagd“, in dem es um eine falsche Braut geht, die eine drastische Strafe erhält:
„Da sprach die falsche Braut: „Die ist nichts Besseres wert, als dass sie splitternackt ausgezogen und in ein Fass gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln geschlagen ist; und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse auf Gasse ab zu Tode schleifen." - „Das bist Du", spart der alte König, „und hast Dein eigen Urteil gefunden, und danach soll Dir widerfahren."
und beendete die E-Mail mit:
„Habe die Ehre (Name des Angeklagten).“
Urteil: Nicht lustig, sondern strafbare Bedrohung mit Totschlag
Das Amtsgericht sah hierin den Tatbestand der Bedrohung mit einem Verbrechen erfüllt und sprach den Angeklagten schuldig. Er habe die Mitarbeiterin - bildlich mit einem Märchen gesprochen - vorsätzlich mit dem Tod bedroht.
Dies habe die Mitarbeiterin - auch vor dem Hintergrund der bisherigen Kommunikation mit dem Angeklagten - ernst genommen. Sie habe ihren Arbeitgeber veranlasst, dass ihr keine E-Mails von dem Angeklagten mehr weitergeleitet würden.
Das Amtsgericht verhängte eine Verwarnung und behielt eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen vor. Der Angeklagte legte gegen das Urteil (Sprung-)Revision ein, die jedoch vom Oberlandesgericht als offensichtlich unbegründet verworfen wurde, da keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten im Urteil des Amtsgerichts festgestellt wurden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 4.5.2023, Az. 7 ORs 10/23
Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 19.05.2023
Fazit:
Hassbotschaften sind leider heute sehr verbreitet. Nicht nur in sozialen Netzwerken werden Personen, die andere Meinungen vertreten oder einem anderen politischen Lager zuzuordnen sind, mit Spott, Häme und Beleidigungen überzogen. Auch im beruflichen Kontext wird (selbst von Fachleuten) bei Meinungsverschiedenheiten nicht stets ein angemessener und respektvoller Ton gepflegt.
Der vorliegende Fall ist sicherlich ungewöhnlich, belegt jedoch, dass ihm Rahmen von Meinungsverschiedenheiten nicht nur offenkundige Beleidigungen oder Bedrohungen strafbar sind, sondern auch subtilere Maßnahmen vor Gericht landen. Auch wenn Hassbotschaften „metaphorisch“ oder in Form von Märchen ausgedrückt werden, kann dies rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen und sogar als Straftat geahndet werden.