In einem kürzlich ergangenen Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (Urteil vom 21. Februar 2023) wurde ein interessanter Fall behandelt, der die Grenzen zwischen berechtigten datenschutzrechtlichen Ansprüchen und deren missbräuchlicher Nutzung aufzeigt. Ein Bewerber, der nach einer erfolglosen Bewerbung sowohl Schadenersatz wegen Altersdiskriminierung als auch aufgrund vermeintlicher Datenschutzverstöße forderte, stand im Mittelpunkt dieses Verfahrens. Das Gericht stufte das Vorgehen des Klägers als rechtsmissbräuchlich ein und wies die Klage ab.
Klage nach erfolgloser Bewerbung: Ein Auskunftsanspruch als Vorspiel
Der Fall begann mit einer Stellenanzeige eines Unternehmens für eine Position im Customer Service. Nach der Beschreibung der Anforderungen der Stelle und der Qualifikationen des Bewerbers stellte sich die Beklagte als „junges Team“ vor, das Spaß am Lernen und am Erfolg habe. Ferner wurde dem Bewerber die Einarbeitung durch ein „junges und professionelles Team“ in Aussicht gestellt. Der Kläger bewarb sich, erhielt jedoch eine Absage.
Aufgrund der Absage verlangte er von der Beklagten eine Entschädigung wegen Altersdiskiminierung gem. Art. 15 Abs. 2 AGG, da in der Stellenanzeige der Beklagten von einem "jungen Team" die Rede war und er für diese Stelle abgelehnt wurde. Das Bruttogehalt für 3 Monate bezifferte er auf 9000 EUR und drohte mit einer Klage, falls die Beklagte nicht 1.500 EUR an ihn zahlen werde. Als die Beklagte ihm später ein Vorstellungsgespräch anbot, lehnte der Kläger ab.
Aber dessen nicht genug. Der Kläger machte später auch einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO geltend und reichte gleichzeitig (!) Klage auf Entschädigung beim Arbeitsgericht ein. Die Beklagte beantwortete das Auskunftsverlangen innerhalb einer Woche. Diese Auskunft genügte dem Kläger jedoch nicht. Er klagte weitere 3.000 EUR Schadenersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen unvollständiger Auskunft ein.
Arbeitsgericht weist Klage ab
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, sprach dem Kläger also weder einen Entschädigungsanspruch nach Art. 15 Abs. 2 AGG noch einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DGVO zu. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG scheitere, da der Kläger die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht gewahrt habe. Den Anspruch auf Entschädigung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO verneinte das Gericht, da der Kläger keinen Rechtsverstoß der Beklagten gegen Art. 15 DSGVO dargelegt habe.
Kläger legt Berufung ein
Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein und beantragte:
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Entschädigung nach Art. 15 II AGG zu bezahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber mindestens € 4.500,00 betragen sollte, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung,
2. die Beklagte zu verurteilen an den Kläger Entschädigung nach Art. 82 I EU – DSGVO zu bezahlen deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber € 3.000,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung nicht unterschreiten sollte,
Die Beklagte bestritt, den Kläger wegen seines Alters diskriminiert zu haben. Vielmehr handele der Kläger rechtsmissbräuchlich, da es ihm von Anfang an nur um eine Entschädigung gegangen sei. Dies ergebe sich aus dem Bewerbungsschreiben, das keinen konkreten Bezug zu der ausgeschriebenen Stelle aufweise, daraus, dass der Kläger sofort eine Entschädigung verlangt habe, einer späteren Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht gefolgt sei und unstreitig in mehreren rechtskräftig entschiedenen Fällen rechtsmissbräuchlich Entschädigungsansprüche geltend gemacht habe.
Gericht: Keine Ansprüche wegen Rechtsmissbrauchs
Die Berufung war nicht nur erfolglos. Das Berufungsgericht prüfte das Vorgehen des Klägers nun eingehend unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs.
Keine Entschädigung nach Art. 15 AGG, da kein Interesse an der Stelle
Das Gericht urteilte, dass der Kläger rechtsmissbräuchlich handelte, indem er sich auf eine Stelle bewarb, mit dem vorrangigen Ziel, Entschädigungsansprüche zu erheben. Seine Bewerbung wies keinen Bezug zur ausgeschriebenen Stelle auf und deutete darauf hin, dass er eine Absage provozieren wollte. Zudem reagierte der Kläger auf die Ablehnung ausschließlich mit Entschädigungsforderungen, ohne weiteres Interesse an der Stelle zu zeigen. Frühere ähnliche Klagen des Klägers wurden ebenfalls als rechtsmissbräuchlich eingestuft, was seine Absicht in diesem Fall weiter untermauerte.
Keine Entschädigung nach Art. 82 DSGVO, da kein Interesse an Datenauskunft
Einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO verneinte das Gericht, da der Kläger auch insoweit rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs durch den Kläger diente nach Überzeugung des Gerichts allein dazu, die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung zu veranlassen. Dies zeige sich daran, dass der Kläger seine Auskunftsansprüche zeitgleich mit der Schadensersatzklage geltend gemacht habe. Das Geltendmachungsschreiben war zudem aus anderen Schreiben zusammenkopiert. Das Auskunftsverlangen sei damit Teil einer „Gesamtstrategie“ des Klägers gewesen, die auf die Zahlung eines möglichst hohen Geldbetrages gerichtet gewesen sei.
Für einen Rechtsmissbrauch spreche auch, dass das gerichtlich geltend gemachte Auskunftsbegehren überschießend und unverhältnismäßig sei. Die Beklagte habe das außergerichtliche Auskunftsverlangen innerhalb einer Woche beantwortet. Gleichwohl habe der Kläger weiterhin die vollständige Auskunft verlangt. Auch dies spricht dafür, dass es dem Kläger nur darum ging, der Beklagten möglichst viel Ärger und Arbeit zu bereiten, um sie zu einer Entschädigungszahlung zu veranlassen.
Fazit des Gerichts: Kläger geht gezielt rechtsmissbräuchlich vor
Nach alledem ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger sowohl seine Bewerbung als auch sein Auskunftsverlangen offensichtlich dazu ausgenutzt habe, um eine finanzielle Entschädigung zu erzwingen. Dabei sei er systematisch und strategisch vorgegangen, um die Beklagte unter Druck zu setzen und eine möglichst hohe Entschädigung zu erreichen. Die finanziellen Forderungen des Klägers wurden vom Gericht als zentrales Indiz für den Rechtsmissbrauch gewertet.
Die Tatsache, dass das Auskunftsverlangen zeitgleich mit der Erhebung der Klage auf Entschädigung nach dem AGG gestellt wurde und das Forderungsschreiben offensichtlich aus anderen Schreiben kopiert worden war, verstärkte den Eindruck eines geplanten und zielgerichteten Vorgehens. Dieses Vorgehen wurde vom Gericht als Teil einer „Gesamtstrategie“ interpretiert, mit der das Unternehmen finanziell unter Druck gesetzt werden sollte.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.02.2023, Az. 1 Sa 148/22
📢 Bedeutung für die Praxis
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Intention hinter der Geltendmachung von Rechten nach der DSGVO und zeigt, dass Gerichte bei entsprechendem Sachvortrag durchaus bereit sind, umtriebigen Klägern, die die DSGVO als Geschäftsmodel nutzen, über den Weg des Rechtsmissbrauchs Einhalt bieten.
Das Urteil lässt hoffen, dass jedenfalls ein systematisches und strategisches rechtsmissbräuchliches Vorgehen im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen nach der DSGVO und dem AGG vor Gericht keinen Erfolg haben. Für Unternehmen bedeutet dies eine gewisse Erleichterung.
Gleichzeitig unterstreicht das Urteil die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung und Bearbeitung von Auskunftsersuchen nach der DSGVO .
✅ Checkliste: Richtig reagieren bei Auskunftsanfragen nach Art. 15 DSGVO
Bei der Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO sollten Unternehmen sorgfältig vorgehen. Diese Checkliste dient als Orientierungshilfe, um die Anforderungen des Art. 15 DSGVO im Rahmen von Auskunftsanfragen sachgerecht zu erfüllen 👇:
⇒ Frist zur Auskunftserteilung: Die Auskunft ist unverzüglich zu erteilen. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Duisburg heißt dies "ohne schuldhaftes Zögern", konkret innerhlab 1 Woche ! Sie dürfen also die Frist von einem Monat nicht abwarten. Können Sie die Auskunft innerhalb 1 Woche nicht erteilen, teilen Sie dies und die Gründe dafür dem Anspruchsteller innerhalb der ersten Woche mit.
⇒ Wer muss die Auskunft erteilen: Klären Sie, ob Sie selbst oder ein beauftragter Dienstleister die Auskunft erteilen muss. Dienstleister müssen in der Regel den Auftraggeber über Auskunftsersuchen informieren und sind meist nicht zur eigenständigen Auskunftserteilung berechtigt. Bei Konzernstrukturen ist die Auskunft bei der Gesellschaft einzuholen, die die Daten verarbeitet. Bei gemeinsam Verantwortlichen kann die Auskunft bei jedem Verantwortlichen beantragt werden.
⇒ Klären Sie die Identität bei Zweifeln: Die Auskunft über personenbezogene Daten darf nur gegenüber der betroffenen Person erteilt werden. Bei Zweifeln an der Identität der anfragenden Person sind weitere Informationen zur eindeutigen Identitätsbestätigung erforderlich, wie z.B. Kundennummern. Ausweiskopien dürfen nur in Ausnahmefällen angefordert werden.
⇒ Überprüfung auf Rechtsmissbrauch: Prüfen Sie, ob das Auskunftsverlangen ggf. missbräuchlich ist, beispielsweise bei offensichtlich unbegründeten Anfragen oder exzessiver Wiederholung. In diesem Fall können Sie die Auskunft verweigern. Sowohl die Verweigerung als auch den Grund müssen Sie innerhalb der Monatsfrist mitteilen.
⇒ Umfang der Datenverarbeitung: Stellen Sie fest, welche personenbezogenen Daten Sie verarbeiten. Hierzu zählen alle Informationen, die mit dieser Person in Beziehung stehen, wie Name, IP-Adresse oder E-Mail-Adresse. Auch pseudonymisierte Daten, wie durch individuelle IDs, fallen darunter. Der Anspruch erstreckt sich auf alle in analogen oder elektronischen Akten gespeicherten Daten, einschließlich Kommentaren und Bewertungen, die sich auf die betroffene Person beziehen.
⇒ Ausschluss eines Auskunftsrechts: Überprüfen Sie, ob gesetzliche Ausnahmen das Auskunftsrecht einschränken. Relevant ist § 34 Abs. 1 Nr. 2 BDSG, der Daten von der Auskunftspflicht ausschließt, die nur aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungspflichten gespeichert sind oder lediglich zu Datensicherungszwecken (wie Backups) vorliegen.
⇒ Erteilen Sie eine Negativauskunft: Falls Sie keine Daten einer antragstellenden Person gespeichert haben, diese bereits gelöscht oder unumkehrbar anonymisiert haben, liegt keine Datenverarbeitung vor, und es kann keine Auskunft erteilt werden. In diesem Fall ist eine sogenannte Negativauskunft erforderlich, die bestätigt, dass keine Daten verarbeitet werden.
⇒ Inhalt der Auskunft: Neben der Auflistung personenbezogener Daten müssen auch die allgemeinen Informationen gemäß Art. 15 DSGVO mitgeteilt werden, z. B. Verarbeitungszwecke, Betroffenenrechte, Empfänger (Empfängerkategorien sind nur in Ausnahmefällen zulässig).
⇒ Vergessen Sie die Datenkopie nicht: Stellen Sie eine vollständige und originalgetreue Kopie der verarbeiteten personenbezogenen Daten bereit. Unkenntlichmachungen sind erlaubt, um die Rechte und Freiheiten anderer Personen zu wahren.
⇒ Form der Auskunftserteilung: Die Auskunft kann schriftlich oder elektronisch erteilt werden. Sie sollte in klarer und verständlicher Form erfolgen und für Laien nachvollziehbar sein.