Im digitalen Zeitalter, in dem Blogs und YouTube-Kanäle immer mehr an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Betreiber von Blogs und YouTube-Kanälen auf den Schutz der Pressefreiheit berufen können. Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Minden gibt hierzu wichtige Hinweise. Das Gericht stufte einen Blogger und YouTuber, der über sein eigenes Gerichtsverfahren berichten wollte, als Pressevertreter ein.
Worum ging es?
Der Kläger betreibt einen YouTube-Kanal und einen Blog, in dem er hauptsächlich auf Beiträge Dritter verlinkt und einige eigene Beiträge veröffentlicht. Der Kläger wollte über ein Gerichtsverfahren berichten, an dem er selbst beteiligt war. Das Gericht untersagte ihm jedoch, Aufnahmegeräte zur Berichterstattung in das Gerichtsgebäude mitzunehmen, da er nicht zur Presse gehöre.
Gegen diese Anordnung wehrte sich der Kläger erfolgreich vor Gericht. Das Verwaltungsgericht Minden ordnete im Eilverfahren an, dass dem Kläger die Mitnahme von Aufnahmegeräten in das Gerichtsgebäude zu gestatten sei.
Maßgebliche Ausführungen des Gerichts
Pressefreiheit umfasst auch Blogs und Video-Plattformen
Das Gericht führte aus, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zwar historisch nur Presse, Rundfunk und Film erfasse, aber von Anfang an auf eine umfassende Erfassung aller Medien angelegt gewesen sei. Daher seien auch neue, insbesondere digitale Medien in den Schutzbereich einzubeziehen:
„Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG war von Anfang an auf eine umfassende Erfassung jeglicher Medien angelegt. Seine Beschränkung auf Presse, Rundfunk und Film ist allein historisch bedingt, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst alle zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Grundgesetzes bekannten Medien (…). Dementsprechend müssen alle seitdem hinzugekommenen, insbesondere digitale Massenkommunikationsmittel in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einbezogen werden. (…). Dies gilt nicht nur für die digitale Transformation klassischer Zeitungsangebote im Internet ("Online-Zeitung"), sondern auch für sonstige Informationsangebote im Internet, wie z.B. Blogs oder Videoplattformen wie z.B. YouTube.“
Zum persönlichen Schutzbereich der Pressefreiheit
In persönlicher Hinsicht schützt die Pressefreiheit haupt-, neben- oder ehrenamtlich tätige Personen. Ob diese einen Presseausweis besitzen, ist unerheblich.
"Der persönliche Schutzbereich der so verstandenen Pressefreiheit erfasst alle Personen, die Informationen beschaffen, sie aufbereiten und sodann unter Nutzung medialer Verbreitungswege einem unbestimmten Personenkreis zugänglich machen (…). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Personen hauptberuflich, nebenberuflich oder ehrenamtlich tätig sind (…) Eine besondere Qualifikation ist ebenso wenig zu fordern (…) wie ein journalistisches Mindestniveau.“
Ob sich jemand auf den Schutz der Pressefreiheit berufen könne, hänge vielmehr davon ab, ob die Informationsübermittlung eine gewisse Struktur aufweise:
"Erforderlich ist allerdings eine gewisse Strukturierung der Informationsweitergabe, so dass z.B. bloße Äußerungen in einem Chat-Room nicht unter die Presse-, sondern unter die Meinungsfreiheit fallen.“
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei der Kläger als Pressevertreter anzusehen, da er Informationen beschaffe, aufbereite und über Online-Plattformen verbreite:
"Er betreibt seinen Angaben zufolge, die sich durch Recherchen im Internet bestätigt haben, einen YouTube-Kanal (...) und zumindest einen Blog (...). Für diese Plattformen beschafft der Antragsteller Informationen, bereitet sie auf und macht sie auf diesen Plattformen als medialem Verbreitungsweg einem unbestimmten Personenkreis zugänglich. (…), leistet der Antragsteller auch ein gewisses Mindestmaß an Strukturierung der Informationsweitergabe. Dass der Antragsteller neben einigen eigenen Beiträgen vielfach "nur" Beiträge Dritter verlinkt (…) und zumindest mit seinem YouTube-Kanal angesichts der Anzahl der dort dokumentierten Abonnenten und Aufrufe wohl nur über eine beschränkte Reichweite verfügt, steht seiner Glaubhaftmachung, er sei Pressevertreter, nicht entgegen. Insoweit kommt es nur auf die potentielle Reichweite seiner Angebote an (…), die bei internetbasierten Angeboten unbegrenzt ist. Ob Vertreter der Presse über einen Presseausweis verfügen, ist für ihre Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unbeachtlich.“
Zum sachlichen Schutzbereich der Pressefreiheit
Da der Kläger Pressevertreter sei, dürfe er fotografieren und filmen (sofern die zuständige Richterin kein konkretes Verbot ausgesprochen habe), daher sei er auch berechtigt, Aufnahmegeräte im Gericht mitzuführen.
"Der sachliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst alle im Zusammenhang mit der Presse stehenden Tätigkeiten von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung. Geschützt sind die ungehinderte Recherche und sonstige Informationsbeschaffung unter Nutzung pressespezifischer Methoden (…). Zu diesen Methoden gehört auch die Anfertigung von Fotos und Filmaufnahmen.“
Pressefreiheit umfasst auch Berichterstattung in eigener Sache
Schließlich stellte das Gericht klar, dass die Pressefreiheit auch das Recht umfasst, über Rechtsstreitigkeiten in eigener Sache zu berichten:
"Die Absicht eines Vertreters der Presse, über ein ihn selbst betreffendes Gerichtsverfahren zu berichten, schließt eine Berufung auf die Pressefreiheit nicht aus. Die Presse entscheidet selbst, worüber sie berichtet. (…). Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet. Zur inhaltlichen Gestaltungsfreiheit gehört die Bestimmung, welche Themen behandelt und welche Beiträge veröffentlicht werden sollen. Zur formalen Gestaltungsfreiheit gehört die Entscheidung über die äußere Darbietung der Beiträge sowie ihre Platzierung innerhalb einer Veröffentlichung. (…). Für das Gericht ist auch nicht erkennbar, dass ein Bericht über eine die Presse selbst betreffende Angelegenheit - wie der Antragsgegner meint - gegen den Pressekodex verstößt.“
VG Minden, Beschluss vom 16.08.2023, Az.: 1 L 729/23
Fazit für Betreiber von Blogs und YouTuber
Das Urteil des VG Minden stellt klar, dass sich auch Betreiber von Blogs und YouTube-Kanälen auf den Schutz der Pressefreiheit berufen können. Voraussetzung ist hierfür ist, dass sie Informationen beschaffen, aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen, also eine gewisse Strukturierung und Aufbereitung der Informationen vorliegt. Bloße Äußerungen in einem Chatroom genügen nicht. Der Schutz der Pressefreiheit umfasst auch die Berichterstattung in eigener Sache, z.B. über Gerichtsverfahren, an denen Blogger oder YouTuber selbst beteiligt sind.
Die Berufung auf die Pressefreiheit bietet zahlreiche Vorteile:
👉 Informationsbeschaffung: Die Pressefreiheit schützt die Informationsbeschaffung, einschließlich der Recherche und des Zugangs zu Informationen und Quellen. Blogger, die Pressevertreter sind, hätten mehr Möglichkeiten, an relevante Informationen zu gelangen, die sonst nicht zugänglich wären.
👉 Pressekonferenzen: Als Pressevertreter könnten Blogger Zugang zu Pressekonferenzen, Gerichtsverhandlungen und anderen Veranstaltungen erhalten, die normalerweise traditionellen Medienvertretern vorbehalten sind.
👉 Quellenschutz: Zur Pressefreiheit gehört auch das Recht, Informationsquellen nicht preiszugeben. Daher wäre es auch für Blogger möglich, vertrauliche Informationen zu erhalten und gleichzeitig die Anonymität ihrer Quellen zu wahren.
👉 Verteidigung: In juristischen Auseinandersetzungen, etwa bei Klagen wegen Verleumdung oder ähnlichen Vorwürfen, könnten sich Blogger auf die Pressefreiheit als Verteidigungsargument berufen.
Mit den Vorteilen geht aber auch eine größere Verantwortung einher:
☝ Blogger und YouTuber, die als Pressevertreter einzustufen sind, müssen journalistische Standards und Ethik, wie sie im Pressekodex verankert sind, einhalten und sind der Wahrhaftigkeit und Objektivität ihrer Berichterstattung verpflichtet.