In unserer digital vernetzten Welt, in der soziale Medien oft Schauplatz hitziger Debatten sind, stellt sich eine grundlegende Frage: Was darf man in hitzigen Diskussionen auf Social Media sagen, und wo zieht das Recht die Grenze? Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart bietet hierzu aufschlussreiche Einsichten. Es entschied, dass die Bezeichnung als 'dummes Stück Hirn-Vakuum' eine Schmähkritik darstellt und nicht hingenommen werden muss.
Der Fall: Ein Facebook-Kommentar sorgt für Aufsehen
Im Zentrum des Falls stand ein Facebook-Kommentar, in dem eine bekannte Politikerin als 'dämliches Stück Hirn-Vakuum' bezeichnet wurde. Dieser Kommentar wurde in der hitzigen Atmosphäre der politischen Debatte auf Facebook gepostet und führte zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, die bis zum Oberlandesgericht Stuttgart ging.
Sachverhalt: Die Details des Falls
Die Klägerin, die unter anderem als Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei und als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts tätig war, kritisierte auf Twitter den Kabarettisten Dieter Nuhr als „ignorant, dumm und uninformiert“. Als Reaktion darauf äußerte sich der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Brandenburg auf Facebook. Unter diesem Beitrag hat der Beklagte kommentiert:
„Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie C.. Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen.“
Die Klägerin hat den Beklagten wegen dieses - inzwischen gelöschten - Beitrags zunächst abgemahnt und sodann Klage auf Unterlassung und Schmerzensgeld erhoben.
OLG Stuttgart: Meinungsfreiheit in sozialen Medien hat Grenzen
Das Landgericht Heilbronn wies die Klage in erster Instanz ab, da es den Beitrag noch als von der Meinungsfreiheit gedeckt ansah. Das OLG Stuttgart entschied anders; es stufte die Kommentare als Schmähkritik ein und veurteilte den Beklagten zur Unterlassung.
💡 Aber was genau ist Schmähkritik?
Schmähkritik liegt vor, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht und die Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat, sondern es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht.
„Dämliches Stück Hirn-Vakuum“ ist Schmähkritik
Das OLG Stuttgart befand, dass die Aussage „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ keine sachliche Kritik mehr darstellt, sondern lediglich darauf abzielt, die Politikerin persönlich zu diffamieren. Daher überwiegt hier das Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gegenüber der Meinungsfreiheit des Beklagten:
"Mit der Aussage auf dem Facebook-Nutzerkonto des Beklagten werde die Klägerin durch die Verwendung der Begriffe „dämlich“ und „Hirn-Vakuum“ als dumme und hirnlose Politikerin charakterisiert, die aus der Politik verschwinden soll („abtauchen“). Es handele sich um eine Äußerung, die durch die zusätzliche Verwendung des Begriffs „Stück“ (konkret: dämliches Stück Hirn-Vakuum) eine die Klägerin abwertende und diffamierende Komponente enthalte, weil ein Mensch (oder dessen Teile) nicht als Stück bezeichnet wird, da ihm damit jede persönliche Würde abgesprochen wird (Art. 1 GG). Die Aussage stehe zwar im Kontext der Beiträge der Klägerin und des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Brandenburg und knüpfe damit äußerlich an eine – öffentlich geführte – Auseinandersetzung an, sei aber völlig von der vorherigen Auseinandersetzung losgelöst, indem die Klägerin nur persönlich beschimpft und angegangen werde. Auch wenn die Klägerin zunächst selbst stark abwertende und ebenfalls persönlichkeitsrechtsverletzende Begriffe verwandt habe – „ignorant, dumm und uninformiert“ –, könne der unsägliche Kommentar des Beklagten nicht mehr als adäquate Reaktion auf das Vorverhalten der Klägerin angesehen werden.“
Auch die weitere Aussage „Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen“ stufte das Gericht als Schmähkritik ein. Diese Aussage enthält eine Herabsetzung von Immigranten und fordert die Klägerin auf, zu verschwinden oder abzuhauen und den Mund zu halten.
Ein ausgewogenes Urteil: Trotz Schmähkritik keine Geldentschädigung
Interessant ist, dass das Gericht den Geldentschädigungsanspruch der Klägerin verneinte. Dies begründete das Gericht damit, dass trotz der schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung kein unabwendbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung bestehe, insbesondere da die Klägerin selbst zuvor starke Worte benutzt hatte und der Kommentar vom Beklagten schnell gelöscht wurde.
OLG Stuttgart, Urteil vom 29.11.2023, Az. 4 U 58/23
Fazit: Balanceakt zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz.
Dieses Urteil verdeutlicht die feine Linie zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz in sozialen Netzwerken. Es bestätigt, dass die Meinungsfreiheit zwar ein fundamentales Recht darstellt, jedoch ihre Grenzen findet, wenn es zu unbegründeter persönlicher Diffamierung kommt. Auch in hitzigen Situationen sollten Worte mit Bedacht gewählt werden, da sonst rechtliche Konsequenzen drohen.
Welche Ansprüche haben Betroffene bei Schmähkritik und Beleidigungen?
Unterlassungsanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzung
Zunächst besteht für Betroffene die Möglichkeit, einen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Der Unterlassungsanspruch wird grundsätzlich nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erfüllt. Allein die Löschung eines beleidigenden Posts auf Facebook genügt nicht. Ebenso wenig das bloße Versprechen, die beanstandete Äußerung nicht mehr zu wiederholen. Weitere Details hier.
Anspruch auf Löschung bei Beleidigungen und Schmähkritik
Eng verbunden mit dem Unterlassungsanspruch ist der Anspruch auf Löschung der beleidigenden Äußerung. Dies bedeutet, dass die verletzende Aussage aus dem öffentlichen Raum, wie etwa aus sozialen Netzwerken, entfernt werden muss.
Geldentschädigungsanspruch bei schwerem Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht
Ein Geldentschädigungsanspruch, auch bekannt als Schmerzensgeldanspruch, kann in Fällen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzungen bestehen. Dabei hängt die Entscheidung, ob eine hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner auch von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Weitere Details im Beitrag "Persönlichkeitsrechtsverletzung - Wann bekommen Sie Geld".