Das Landgericht Stralsund hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine bekannte Persönlichkeit über soziale Medien ungefragt sexualisierte Nachrichten (Sexting) und intime Fotos (u.a. Dickpics) erhielt. Im Mittelpunkt des Verfahrens standen die Fragen, ob solche Handlungen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt bzw. zu einer Geldentschädigung führen und wenn ja, in welcher Höhe diese zu bemessen ist.
Sexting und Dickpics: Begriffe und Phänomen
Sexting bezeichnet das Versenden von Nachrichten mit explizit sexuellem Inhalt, während Dickpics Bilder des entblößten männlichen Geschlechtsteils bezeichnen, die oft ungefragt verschickt werden. Im vorliegenden Fall schickte der Beklagte der Klägerin sowohl Dickpics als auch sexualisierte Nachrichten und Videos.
Der Begriff Sexting, eine Wortkombination aus „sex“ und „texting“, tauchte erstmals um 2005 in Medienberichten auf, als das Phänomen mit der Verbreitung von Smartphones zunahm. Dickpics als spezifische Form des Sexting rückten ab etwa 2010 verstärkt in den Fokus, insbesondere durch soziale Medien und Chat-Apps wie WhatsApp, Instagram oder Snapchat.
Betroffen sind häufig Frauen, die über Messenger-Apps, Social-Media- und Dating-Portale oder per E-Mail unvorbereitet mit solchen Inhalten konfrontiert werden. Absender sind überwiegend Männer, oft Fremde. Jugendliche und junge Erwachsene gelten als besonders gefährdet, da die digitale Kommunikation in dieser Altersgruppe eine zentrale Rolle spielt.
Studien zeigen, dass es sich dabei häufig um Macht- oder Dominanzgesten handelt, mit denen die Empfängerinnen herabgesetzt werden sollen. Von den männlichen Absendern werden diese Handlungen häufig als „Flirtversuche“ deklariert, obwohl sie meist unangenehm oder traumatisierend sind. Der digitale Charakter der Übergriffe erschwert es, sich diesen zu entziehen, da die Täter anonym bleiben oder direkt auf den Plattformen gesperrte Kanäle umgehen können.
Sachverhalt: Was genau war geschehen?
Die Klägerin ist einer breiten Öffentlichkeit seit langem durch ihre Auftritte in einer Fernsehserie sowie durch verschiedene Auftritte in den sozialen Medien bekannt.
Im Frühling 2023 übersandte der damals 23 Jahre alte Beklagte der Klägerin als Antwort auf verschiedene Instagram-Stories drei Textnachrichten mit dem Wortlaut „Fick mich bby“, „Press dein arsch an mein Schwanz“ und „Zwischen deinen titten Spritzen“. Zudem folgten im Juni 2023 fünf Bilder des erigierten Penis des Beklagten.
Im August übersandte der Beklagte der Klägerin ein Video mit einer Länge von etwas mehr als einer Minute, das aus einer Collage aus Wiederholungen von Bildern der Klägerin, eigenen Penisfotos und einem eigenen Masturbationsvideo bestand.
Kläger und Beklagter kannten sich nicht, ein Kontakt zwischen der Klägerin und dem Beklagten fand zu keinem Zeitpunkt statt.
Wie reagierte die Klägerin auf die digitalen Übergriffe?
Die Klägerin zog alle Register und setzte sich umfassend gegen die Übergriffe zur Wehr:
👉 Sie erstattete Strafanzeige gegen den Beschuldigten. Das Versenden von Dickpics und sexualisierten Videos erfüllt den Straftatbestand der unaufgeforderten Verbreitung pornografischer Schriften und wird gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 6 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Im Oktober 2023 erließ das Amtsgericht Stralsund gegen den Beklagten einen rechtskräftigen Strafbefehl über 2.400,00 EUR.
👉 In einem ersten zivilrechtlichen Klageverfahren vor dem Landgericht Stralsund wegen Unterlassung wurde dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verboten, derartige Handlungen gegenüber der Klägerin zu wiederholen Sollte der Beklagte der Klägerin erneut entsprechende Inhalte zusenden, kann die Klägerin bei Gericht die Verhängung eines empfindlichen Ordnungsgeldes gegen den Beklagten beantragen. Zahlt er dieses nicht, droht ihm Ordnungshaft.
👉 In dem hier besprochenen weiteren zivilrechtlichen Klageverfahren vor dem Landgericht Stralsund verklagte die Klägerin den Beklagten auf Erstattung ihr entstandener Anwaltskosten sowie auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro wegen der wiederholten unaufgeforderten Zusendung der sexualisierten Textnachrichten, Bilder und Videos.
Gericht: Trotz Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht immer Geldentschädigung
Ungefragtes Sexting und Dickpics: Persönlichkeitsrechtsverletzung
Das Gericht stellte fest, dass sowohl die Textnachrichten als auch die Dickpics und das Video das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzten. Grundlage hierfür ist § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 GG, die den Schutz der Würde und der persönlichen Entfaltung gewährleisten.
Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Sexting
Durch die sexualisierten Nachrichten werde die Klägerin herabgewürdigt und in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt. Das Gericht betonte, dass es keine Rolle spiele, wie sexualisierte Inhalte ausgelebt werden, solange die Empfängerin klar signalisiert, dass sie diese nicht wünscht. Zitat aus dem Urteil:
"Das Recht der sexuellen Selbstbestimmung beruht gerade auf der Annahme, dass es jedem Menschen freisteht, davon frei zu sein, ungebeten mit abweichenden Vorstellungen konfrontiert zu werden."
Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Dickpics und Video
Schwerer wogen die Dickpics und das Masturbationsvideo. Das Gericht betonte, dass diese Inhalte nicht nur die Intimsphäre der Klägerin verletzten, sondern auch das Recht am eigenen Bild und die psychische Integrität. Insbesondere die Symbolik des Videos - eine Collage aus Bildern des Penis und Bildern der Klägerin - verstärke die Verletzung erheblich. Zitat aus dem Urteil:
"Die Handlungen des Beklagten übersteigen in ihrer Intensität die bloße Beleidigungshandlung und erfordern eine entschiedenere Antwort des Rechtsstaats zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts."
Geldentschädigung: Warum 4.000 Euro und nicht die geforderten 10.000 Euro?
Grundsätze zur Geldentschädigung
Nach der Rechtsprechung wird eine Geldentschädigung nur bei schweren Verletzungen des Persönlichkeitsrechts und nur dann zugesprochen, wenn andere Wiedergutmachungsleistungen nicht ausreichen. Die Entschädigung soll dem Betroffenen Genugtuung verschaffen und präventiv wirken.
Wichtige Kriterien sind:
- Schwere der Verletzung: Wie intensiv war der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht?
- Öffentlichkeit: Wurde die Verletzung in der Öffentlichkeit begangen oder blieb sie privat?
- Verhalten des Täters: Zeigt der Täter Einsicht oder Reue?
Das Gericht sprach der Klägerin keine Entschädigung für die Textnachrichten und eine Entschädigung in Höhe von 4.000 Euro für die Dickpics und das Video zu.
Warum keine Entschädigung für die Textnachrichten?
Dies lag vor allem daran, dass der bereits bestehende Unterlassungstitel in Verbindung mit den strafrechtlichen Sanktionen als ausreichend angesehen wurde, um Genugtuung zu schaffen. Darüber hinaus fehlten weitere Kriterien, die eine Geldentschädigung rechtfertigen würden.
1. Keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung
Das Gericht stellte fest, dass die sexualisierten Textnachrichten zwar beleidigend und herabwürdigend seien, jedoch nicht den Grad einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung erreichten, der eine Geldentschädigung erfordere. Die Nachrichten wurden nicht öffentlich verbreitet und blieben auf die Kommunikation zwischen dem Beklagten und der Klägerin beschränkt, Zitat aus dem Urteil:
"Die vorsätzliche, sexualisierte Beleidigung erfolgte aber ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit. Zwar ist der Schutz der Persönlichkeit unabhängig davon, wie viele Personen an der Kommunikation teilnehmen […]. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch Übersenden der Textnachrichten erweist sich insoweit auch im Zweipersonenverhältnis als rechtswidrig.“
2. Genugtuung bereits durch Unterlassungstitel
Die Klägerin hatte bereits einen rechtskräftigen, strafbewehrten Unterlassungstitel gegen den Beklagten erwirkt. Das Gericht stellte fest, dass diese Maßnahme ausreiche, um der Klägerin Genugtuung zu verschaffen. Eine zusätzliche Geldentschädigung sei daher nicht erforderlich. Zitat aus dem Urteil:
"Die Klägerin erfährt für das Versenden der Textnachrichten hinreichende Genugtuung durch den rechtskräftigen Unterlassungstitel. Eine darüber hinausgehende Genugtuung oder Präventionswirkung ist aufgrund der Strafbewehrung nicht erforderlich.“
3. Keine nachhaltige Beeinträchtigung
Das Gericht stellte fest, dass die Textnachrichten nicht zu einer nachhaltigen oder dauerhaften Beeinträchtigung der Klägerin geführt haben. Weder seien konkrete psychische Beeinträchtigungen dargelegt worden, noch sei ein Fortwirken der Beleidigungen zu befürchten, da die Klägerin durch den Unterlassungstitel geschützt sei. Zitat aus dem Urteil:
"Die vorsätzliche, sexualisierte Beleidigung erfolgte ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit. […] Der Eingriff durch die Textnachrichten erweist sich im Zweipersonenverhältnis […] nicht als so schwerwiegend, dass ein unabwendbares Bedürfnis für einen finanziellen Ausgleich besteht.“
4. Begrenzter Umfang der Handlungen
Im Gegensatz zu den Dickpics, die durch ihre visuelle und symbolische Intensität eine tiefere Verletzung bewirkten, waren die Textnachrichten rein verbaler Natur und hatten keine Breitenwirkung. Dies minderte die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung erheblich. Zitat aus dem Urteil
"Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch Übersenden der Textnachrichten erweist sich […] als rechtswidrig. Indessen ist in diesem konkreten Einzelfall ein Bedürfnis für eine Geldentschädigung nicht gegeben.“
Warum Entschädigung für Dickpics und Videos?
Im Gegensatz zu den Textnachrichten sah das Gericht in diesen Handlungen schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die eine Entschädigung erforderten, allerdings nur in Höhe von 4.000 Euro. Der Entscheidung lagen folgende rechtliche und tatsächliche Erwägungen zugrunde:
1. Schwere des Eingriffs in die Intimsphäre
Das Gericht betonte, dass die Dickpics und das Video besonders tief in die Intimsphäre der Klägerin eingriffen. Während die Textnachrichten „nur“ verbal sexualisiert waren, hatten die Bilder und das Video eine visuelle und psychische Intensität, die die Klägerin in ihrem Recht auf persönliche und sexuelle Selbstbestimmung nachhaltig beeinträchtigte. Zitat aus dem Urteil:
"Der Unterlassungstitel bietet jedoch keinen hinreichenden Ausgleich für die ungefragt übersandten Fotos und das Video. Insoweit war auch zu beachten, dass jedenfalls mehrere Beleidigungen in Folge, welche jede für sich genommen nicht geeignet sind, eine Geldentschädigung nach sich zu ziehen, kumulativ eine solche rechtfertigen können.“
2. Fehlen anderer Entschädigungsmöglichkeiten
Der Gerichtshof stellte klar, dass eine Geldentschädigung immer dann erforderlich ist, wenn andere Formen der Wiedergutmachung nicht ausreichen. Im vorliegenden Fall reichte der bestehende Unterlassungstitel nicht aus, um der Beschwerdeführerin Genugtuung zu verschaffen. Es bedürfe einer entschiedenen Antwort des Rechtsstaates, um das Persönlichkeitsrecht wirksam zu schützen. Zitat aus dem Urteil:
"Die Handlungen übersteigen in ihrer Intensität die bloße Beleidigungshandlung und erfordern eine entschiedenere Antwort des Rechtsstaats zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.“
3. Symbolik und Eskalation des Videos
Insbesondere das Masturbationsvideo, das aus einer Collage von Penisbildern und Bildern der Klägerin bestand, erhöhte die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die Symbolik des Videos und die Eskalation der Handlungen des Beklagten führten zu einer zusätzlichen Intensivierung der Verletzung. Das Gericht erkannte darin eine erhebliche psychische Belastung der Klägerin. Zitat aus dem Urteil:
"Insbesondere durch die weitere Symbolik [des Videos] erzeugte der Beklagte Angst vor weiterer Eskalation.“
4. Vorsatz und Beharrlichkeit des Beklagten
Das Gericht berücksichtigte auch die Beharrlichkeit, mit der der Beklagte seine Handlungen fortsetzte, obwohl er klar erkennen konnte, dass die Klägerin kein Interesse an einer Interaktion hatte. Dies erhöhte die Schwere der Verletzung und rechtfertigte eine finanzielle Entschädigung. Zitat aus dem Urteil:
"Der Beklagte setzte seine Handlungen, ungeachtet des fehlenden Einverständnisses der Klägerin, mit einer erheblichen Beharrlichkeit fort. Er handelte mit Vorsatz.“
5. Höhe der Entschädigung
Das Gericht entschied, dass für die Versendung der Dickpics 1.000 EUR und für das Video 3.000 EUR zu zahlen seien. Den Unterschied begründete es mit der zusätzlichen psychischen Intensität und Eskalation durch das Video. Zitat aus dem Urteil:
"Von daher erachtet das Gericht für die ungefragte Übersendung der Fotos des Gliedes des Beklagten einen Betrag in Höhe von 1.000,00 € als angemessen. Mit der Übersendung des Videos […] ist als Ausgleich für die Übersendung des Videos die Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.000,00 € erforderlich, aber auch ausreichend."
Ein höherer Betrag wurde mangels nachhaltiger Rufschädigung und konkreter psychischer Folgen abgelehnt.
Landgericht Stralsund, Urteil vom 06.06.2024, AZ 4 O 19/24
Fazit: Betroffene haben Rechte - die Schande liegt bei den Tätern
Die wenigsten Betroffenen wehren sich sexuelle Belästigungen im Internet. Das Urteil des Landgerichts Stralsund zeigt jedoch, dass Betroffene von digitalen Übergriffen rechtlich nicht schutzlos sind. Solche Handlungen sind keine „harmlosen Flirts“, sondern gezielte Angriffe auf die Würde und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Betroffene müssen solche Übergriffe nicht hinnehmen, sondern sollten sich wehren✋.
Rechtlicher Schutz für Betroffene
Betroffene sollten wissen, dass es nicht nur strafrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Möglichkeiten gibt, sich zu wehren:
👉 Unterlassungstitel: Ein gerichtliches Verbot kann den Täter verpflichten, solche Handlungen zu unterlassen, verbunden mit einer Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft.
👉 Geldentschädigung: Bei schwerwiegenden Eingriffen, wie z.B. ungefragte Dickpics, kann eine Entschädigung geltend gemacht werden.
👉 Strafrechtliche Verfolgung: Täter können strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und mit Geld- oder Freiheitsstrafen belegt werden.
Die Scham muss die Seite wechseln
Es ist wichtig, dass Betroffene verstehen: Die Schande liegt nicht bei ihnen, sondern bei den Tätern 🚫. Viele Täter versuchen, ihre Opfer durch solche Taten zu demütigen und zu verunsichern. Es ist ein Machtspiel, das auf der Sexualisierung und Erniedrigung des Opfers beruht. Rechtliche Schritte können dieses Machtverhältnis jedoch umkehren und deutlich machen, dass solche Übergriffe Konsequenzen haben 🛑.
Handlungsempfehlungen für Betroffene:
✔️ Werden Sie aktiv: Wehren Sie sich und verteidigen Ihre Würde 🛡️.
✔ Blockieren Sie den Kontakt und melden Sie den Vorfall der Plattform👎.
✔ Suchen Sie Hilfe: "Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" berät in 18 Sprachen😥.
✔️ Sichern Sie Beweise: Machen Sie Screenshots von den Nachrichten, Fotos und Videos 📁📸.
✔️ Rechtliche Beratung: Ziehen Sie eine Anwältin oder einen Anwalt hinzu, um Ihre Rechte geltend zu machen ⚖️.
✔️ Erstatten Sie Strafanzeige: Anzeigen sind ein klares Signal an Täter, dass solche Handlungen nicht toleriert werden 🚔.
👉 Tipp: Auf Dickstinction.com kann man ein Online-Formular schnell und einfach eine Strafanzeige vorbereiten.
Für Täter bleibt eine klare Botschaft: Das unaufgeforderte Versenden von sexualisierten Inhalten an Dritte kann nicht nur teuer 💸 werden, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen ⚖️❗.