Der EuGH hat am 3.10.2019 entschieden, dass ein Betroffener, der auf Facebook beleidigt wurde, von Facebook verlangen kann, dass Facebook gleiche oder ähnliche Formulierungen sucht und löscht, und zwar weltweit. Das entschied der EuGH nach einem Fall in Österreich, in dem eine Politerikerin auf Facebook u.a. als "miese Volksverräterin" beleidigt wurde.
Sachverhalt: Politikerin auf Facebook als "miese Volksverräterin" beleidigt
Anlass war eine Klage der früheren Chefin der österreichischen Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek. Sie war auf Facebook beleidigt worden, u.a. wurde sie in Posts als "miese Volksverräterin" beschimpft, weil sie sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte.
Die Politikerin verlangte von Facebook neben der Löschung des konkret beanstandeten Posts auch Posts zu entfernen, die ähnliche Beleidigungen enthielten. Facebook löschte zwar den konkret beanstandeten Post, lehnte aber die Suche und Löschung von Posts mit ähnlichen Beleidigungen ab. Daher erhob Frau Glawischnig-Piesczek Klage, die schließlich beim Obersten Gerichtshof Österreichs landete.
Dieser setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH diverse Fragen zur Auslegung vor. So wollte das Gericht insbesondere vom EuGH wissen, inwieweit Facebook verpflichtet werden kann, nach weiteren Beleidigungen auf Facebook zu forschen: Zum einen nach solchen, die vom Wortlaut her identisch sind; zum anderen nach solchen, die einen sehr ähnlichen, beleidigenden Inhalt haben.
EuGH: Facebook muss auch wortgleiche und ähnliche Hassposts löschen
Der EuGH bejahte im Ergebnis, dass Facebook per gerichtlicher Verfügung verurteilt werden kann, auch nach Posts zu suchen, die wort- oder sinngleiche Kommentare wie der konkret beanstandete Post enthalten und diese entfernen muss. EIne solche Verpflichtung kann Facebook auch weltweit auferlegt werden.
Facebook muss wortgleiche beleidigende Posts suchen und löschen
Zunächst bejahte der EuGH, dass Facebook verurteilt werden kann, auch Posts zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, die den wortgleichen Inhalt haben wie Informationen, die für rechtswidrig erklärt worden sind.
"Da ein soziales Netzwerk die schnelle Übermittlung der vom Hosting-Anbieter gespeicherten Informationen zwischen seinen verschiedenen Nutzern erleichtert, besteht eine reale Gefahr, dass eine Information, die als rechtswidrig eingestuft wurde, zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Nutzer dieses Netzwerks wiedergegeben und geteilt wird.
Um erreichen zu können, dass der Hosting-Anbieter jeden weiteren Schaden bei den Betroffenen verhindert, ist es unter diesen Umständen legitim, dass das zuständige Gericht von ihm verlangen kann, den Zugang zu gespeicherten Informationen, deren Inhalt wortgleich mit dem zuvor für rechtswidrig erklärten Inhalt ist, zu sperren oder sie zu entfernen, ganz gleich, wer den Auftrag zur Speicherung dieser Informationen gegeben hat."
Facebook muss auch ähnliche beleidigende Posts suchen und löschen
Darüber hinaus könne Facebook auch verurteilt werden, Posts zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, die einen sinngleichen Inhalt haben wie der konkret beanstandete beleidigende Post. Dabei geht der EuGH davon aus, dass „sinngleicher Inhalt" Informationen meint, die eine Aussage vermitteln, deren Inhalt im Wesentlichen unverändert bleibt und daher sehr wenig von dem Inhalt des konkret beanstandeten Posts abweicht.
"Damit eine Verfügung, mit der eine rechtswidrige Handlung abgestellt und ihre Wiederholung sowie ein weiterer Schaden bei den Betroffenen verhindert werden sollen, diese Ziele tatsächlich erreichen kann, muss sich diese Verfügung folglich auf Informationen erstrecken können, deren Inhalt wegen der verwendeten Worte oder ihrer Kombination im Vergleich zu der Information, deren Inhalt für rechtswidrig erklärt worden ist, zwar leicht unterschiedlich formuliert ist, aber im Wesentlichen die gleiche Aussage vermittelt. Andernfalls könnten nämlich, wie das vorlegende Gericht ausführt, die Wirkungen, die an eine solche Verfügung geknüpft sind, leicht umgangen werden, indem Aussagen gespeichert werden, die sich kaum von den zuvor für rechtswidrig erklärten Aussagen unterscheiden, was dazu führen könnte, dass die betroffene Person eine Vielzahl von Verfahren anstrengen muss, um zu erwirken, dass das Verhalten, dessen Opfer sie ist, aufhört.“
In diesem Zusammenhang wies der EuGH darauf hin, dass Facebook jedoch weder verurteilt werden kann, allgemein gespeicherte Informationen zu überwachen noch gezwungen werden kann, aktiv nach Umständen zu forschen, auf denen der rechtswidrige Post beruht.
"[Daher] müssen die sinngleichen Informationen (…) spezifische Einzelheiten umfassen, die von demjenigen, der die Verfügung erlassen hat, gebührend identifiziert worden sind, wie den Namen der von der zuvor festgestellten Verletzung betroffenen Person, die Umstände, unter denen diese Verletzung festgestellt wurde, und einen Inhalt, der dem für rechtswidrig erklärten Inhalt sinngleich ist. Unterschiede in der Formulierung dieses sinngleichen Inhalts im Vergleich zu dem für rechtswidrig erklärten Inhalt dürfen jedenfalls nicht so geartet sein, dass sie den Hosting-Anbieter zwingen, eine autonome Beurteilung dieses Inhalts vorzunehmen.“
Facebook kann auch zur weltweiten Löschung von Hasspostings verurteilt werden
Schließlich führte der EuGH aus, dass grundsärtzlich auch die Möglichkeit besteht, Facebook zur weltweiten Löschung von wortgleichen oder sinngemäßen Postings zu verurteilen.
"Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/31 – wie insbesondere aus ihrem Art. 18 Abs. 1 hervorgeht – in dieser Hinsicht keine Beschränkung, insbesondere in räumlicher Hinsicht, der Reichweite der Maßnahmen vorsieht, die die Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie erlassen dürfen. Folglich steht die Richtlinie 2000/31 (…) nicht dem entgegen, dass diese Verfügungen weltweit Wirkungen erzeugen.“
Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass eine weltweite Verurteilung von Portalbetreibern zur Löschung von Posts mit internationalen Regeln in Einklang stehen:
„Es ist Sache der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die von ihnen erlassenen Maßnahmen, die weltweit Wirkungen erzeugen, diese Regeln gebührend berücksichtigen.“
Der EuGH fordert also keine weltweite Löschung, sondern stellt nur fest, dass EU-Recht einer weltweiten Löschung nicht entgegensteht. Ein Mittelweg durch die nationalen Gerichte wäre z. B. eine Verurteilung zur Löschung in der EU oder ein Verfahren, nachdem Facebook auf eine Beschwerde hin prüft, inwiefern der beanstandete Post auch gegen Rechtsstandards anderer Länder verstößt.
EuGH, Urteil vom 3.10.2019, Az.: C-18/18
Praxishinweis:
Das Urteil des EuGH stärkt die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen, die Hasskommentaren im netz ausgesetzt sidn. Beleidigungen oder Hasspostings im Internet zu löschen, war bisher oft aussichtslos. Aus Sicht der Betroffenen ist es sinnlos, wenn ein bestimmter beleidigender Kommentar gelöscht wird, aber fast wortgleiche oder inhaltsgleiche Postings anderer User online bleiben oder der Uploader des beanstandeten Post nach der Löschung den gleichen Post wieder hochlädt. Betroffene mussten bisher gegen jeden Post einzeln vorgehen. Das verlangt nicht nur viel Zeit und Kosten, sondern auch Kraft und Durchhaltevermögen.
Das ändert sich dank des EuGH Urteils. Denn nun genügt es, wenn der Betroffene gegen einen bestimmten Hasskommentar vorgeht, da er verlangen kann, dass der Portalbetreiber auch identische oder inhaltlich ähnliche Posts entfernt. Die "Aufräumarbeit" übernimmt also der Portalbetreiber.
Das Urteil betrifft nicht nur Facebook, sondern auch andere Social Media Plattformen wie Twitter, Google & Co. Alle Portalbetreiber müssen zukünftig bei gerichtlichen Urteilen bzw. direkten Beschwerden mehr tun, als nur den konkret beanstandeten Post löschen. Facebook & Co. müssen ein technisches Verfahren entwickeln, um wortidentische und sinngleiche Postings aufzuspüren und zu löschen.