Der BGH hat mit Urteil vom 15.09.2016 entschieden, dass die Honorare der Vergütungsregeln GVR Tageszeitungen auch für Zeitungen in Ostdeutschland gelten.
Sachverhalt: Freier Journalist fordert angemessenes Zeilenhonorar gemäß GVR Tageszeitungen
Der Kläger war hauptberuflich als freier Journalist für die Beklagte, die in Potsdam die Tageszeitung "Potsdamer Neueste Nachrichten" herausgibt, tätig. Vom Februar 2010 bis Mitte Mai 2011 hat der Kläger die gesamte Sportberichterstattung für die Tageszeitung der Beklagten übernommen. Die Beklagte veröffentlichte in diesem Zeitraum insgesamt 275 vom Kläger verfasste Beiträge. Der Kläger erhielt dafür jeweils am Monatsende ein sogenanntes "Anstrichhonorar" in Höhe von 0,40 EUR pro Zeile.
Der Kläger ist der Ansicht, diese Vergütung sei unangemessen. Angemessen sei vielmehr ein Zeilenhonorar von 0,55 EUR. Dieses Zeilenhonorar entspricht den Honorarsätzen gemäß den Gemeinsamen Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen vom 29.01.2019 ("GVR Tageszeitungen“). Der Kläger verklagte die Beklagte daher u.a. auf Zahlung einer angemessenen Honorarvergütung (§ 32 UrhG) in Höhe von insgesamt 3.030,15 EUR.
Vorinstanzen: Honorare GVR Tageszeitungen gelten nicht in Ostdeutschland
Das Landgericht wies die Klage ab. Die hiergegen erhobene Berufung des Klägers blieb erfolglos.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts habe Kläger nicht dargelegt, dass das vereinbarte Zeilenhonorar in Höhe von 0,40 EUR nicht angemessen sei. Zur Begründung der Angemessenheit der von ihm geltend gemachten Vergütung in Höhe von 0,55 EUR pro Zeile habe er sich allein auf die GVR Tageszeitungen gestützt. Diese seien vorliegend jedoch räumlich nicht anwendbar, da es im Hinblick auf ostdeutsche Zeitungsverlage an dem erforderlichen Merkmal der Repräsentativität fehle. Der beim Abschluss der GVR Tageszeitungen auf Verlegerseite tätige Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV) sei nämlich nicht im eigenen Namen, sondern lediglich als Vertreter von westdeutschen Landesverbänden tätig geworden. Durch diese sei die ostdeutsche Zeitungsbranche mit ihren strukturellen Besonderheiten nicht repräsentiert worden. Auch eine analoge Anwendung der GVR Tageszeitungen komme nicht in Betracht, weil ansonsten die Anwendungsvoraussetzung der Repräsentativität leerliefe und es zudem wegen der Möglichkeit der Aufstellung von gemeinsamen Vergütungsregeln für Ostdeutschland an einer Regelungslücke fehle. Aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen der westdeutschen und der ostdeutschen Zeitungsbranche könnten die Bestimmungen der GVR Tageszeitungen auch nicht als Indiz für eine angemessene Vergütung herangezogen werden.
BGH: Honorare GVR Tageszeitungen gelten auch in Ostdeutschland
Der BGH hob das klageabweisende Urteil der Vorinstanz auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurück.
Zunächst gab der BGH die Reihenfolge bei der Prüfung einer angemessenen Vergütung im Sinne von § 32 UrhG vor:
"Nach der gesetzlichen Systematik unterliegt die Prüfung der Angemessenheit der Vergütung gemäß § 32 UrhG einer bestimmten Reihenfolge. Vorrangig ist zu fragen, ob sich Kriterien für eine angemessene Vergütung aus einem Tarifvertrag ergeben (§ 32 Abs. 4, § 36 Abs. 1 Satz 3 UrhG). Ist eine tarifvertragliche Regelung (...) nicht anwendbar, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer gemeinsamen Vergütungsregel im Sinne von § 36 UrhG vorliegen und damit die unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 UrhG eingreift. Ist eine gemeinsame Vergütungsregel nach den darin aufgestellten persönlichen, sachlichen, räumlichen oder zeitlichen Voraussetzungen nicht anwendbar, kommt auch eine Vermutungswirkung gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 UrhG nicht in Betracht. Die angemessene Vergütung ist dann gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG nach einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (...)."
Nach Ansicht des BGH kann sich der Kläger auf die unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit der von ihm geltend gemachten Vergütung gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1, § 36 UrhG in Verbindung mit den GVR Tageszeitungen stützen. Anders als das Berufungsgericht geht der BGH davon aus, dass die GVR Tageszeitungen in räumlicher Hinsicht auf das Vertragsverhältnis der Parteien anwendbar sind.
In diesem Zusammenhang komme es nicht darauf an, dass der BDZV für ostdeutsche Landesverbände keine oder keine explizite Vollmacht von den Landesverbänden der Zeitungsverleger hatte, als er 2010 mit den Journalistengewerkschaften DJV und ver.di Vereinbarungen über angemessene Honorare traf. Entscheidend sei allein, dass der BDZV als Verband einzustufen sei, der objektiv als repräsentativ für Verlage angesehen werden kann. Die Frage der Repräsentativität mache nicht automatisch an den Grenzen von Bundesländern oder Organisationsstrukturen innerhalb des BDZV Halt, wenn es nicht klare Argumente gibt, warum die Wirtschaftslage und die Situation von Verlagen in anderen Bundesländern sich komplett anders darstellen.
"Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es gebe "strukturelle Besonderheiten" hinsichtlich der ostdeutschen Zeitungsverlegerverbände, die bei der Aufstellung der GVR Tageszeitungen nicht mit eingeflossen seien. Von welchen "strukturellen Besonderheiten" das Berufungsgericht insoweit konkret ausgegangen ist, lässt sich seiner Entscheidung aber nicht entnehmen. Sollte das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang (...) von Besonderheiten bei der Kaufkraft und dem Einkommen der Leserschaft und damit von im Vergleich zu westdeutschen Verlagen geringeren Vertriebs- und Anzeigenerlösen der ostdeutschen Verlage ausgegangen sein, hätte es sich zudem mit dem Vortrag des Klägers auseinandersetzen müssen, wonach der pauschale Verweis auf strukturelle Unterschiede bei der Beklagten deshalb ins Leere gehe, weil diese in Potsdam und damit im Einzugsgebiet von Berlin tätig sei, welches sich hinsichtlich Kaufkraft und Einkommen der Bevölkerung nicht von den westdeutschen Bundesländern unterscheide."
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, können die GVR Tageszeitungen auch für die gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG nachrangig vorzunehmende Prüfung aller relevanten Umstände als Orientierungshilfe herangezogen werden.
"Es [das Berufungsgericht] hat zwar angenommen, "aufgrund der strukturellen Unterschiede" könnten die GVR Tageszeitungen nicht als Indiz für eine angemessene Vergütung herangezogen werden. Dem Berufungsurteil lässt sich jedoch nicht entnehmen, von welchen "strukturellen Unterschieden" das Berufungsgericht konkret ausgegangen ist. Darüber hinaus hat es nicht geprüft, ob trotz solcher Unterschiede zumindest von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen und ob gegebenenfalls bestehenden Unterschieden im Einzelfall durch eine modifizierte Anwendung der Vergütungsregelung Rechnung getragen werden kann."