Das OLG München hatte sich mit wichtigen Fragen zur Anwendung des Presseverleger-Leistungsschutzrechts nach § 87 f UrhG zu beschäftigen. So hatte es u.a. zu klären, wann Textausschnitte noch als „kleinste Textausschnitte“ angesehen werden können.
Sachverhalt: Nutzung von Snippets aus Presseerzeugnissen Dritter im Internet
Die Antragstellerin gehört zur Mediengruppe S.V.. Zu ihren Aufgaben gehört die Vermarktung von Nutzungsrechten an Publikationen im gewerblichen Bereich und die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen.
Die Antragsgegnerin ist ein Medienbeobachtungsunternehmen. Sie wertet Online-Publikationen (u.a. der Mediengruppe S.V.) aus, um ihren Kunden einen Überblick über bestimmte Themen zu geben. Hierzu erstellt die Antragsgegnerin Trefferlisten mit automatisch erzeugten Textauszügen aus Online-Artikeln (Snippets), die einen Umfang von 20 bis 25 Wörtern haben.
Die hier maßgeblichen Snippets erschienen in einer Online-Publikation der Antragsgegnerin, deren Inhalte mit einer sog. Metered Paywall geschützt sind. Nutzer können hier eine bestimmte Anzahl von Artikeln kostenlos aufrufen, der Abruf weiterer Artikel ist kostenpflichtig.
Die Antragstellerin sah in der öffentlichen Zugänglichmachung der Snippets aus ihren Presseerzeugnissen das ihr zustehende Presseverleger-Leistungsschutzrecht nach § 87 f UrhG verletzt und forderte die Antragsgegnerin zur Unterlassung auf.
§ 87f Abs. 1 UrhG lautet:
„Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.“
Da die Antragsgegnerin keine Unterlassungserklärung abgab, beantragte die Antragstellerin den Erlass einer Unterlassungsverfügung. Das LG München gab dem Antrag statt; hiergegen legte die Antragsgegnerin Berufung ein.
OLG München: Textausschnitte mit 25 Worten sind keine kleinsten Textausschnitte
Die Berufung der Antragsgegnerin vor dem OLG München blieb jedoch erfolglos.
Auch kleine Textausschnitte können urheberrechtlich geschützt sein
Ebenso wie die Vorinstanz geht auch das OLG München davon aus, dass die streitgegenständlichen Textausschnitte, obgleich sie lediglich aus 20 – 25 Worten bestehen, urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerke genießen, da sie über eine ausreichende individuelle Prägung verfügen:
"Ein Schriftwerk genießt urheberrechtlichen Schutz, wenn es eine individuelle geistige Schöpfung darstellt. Diese kann sowohl in der von der Gedankenformung und -führung geprägten sprachlichen Gestaltung als auch in der Art der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffs zum Ausdruck kommen (...). Auch einzelne Sätze oder sogar Satzteile können geeignet sind, dem Leser die Originalität einer Publikation wie etwa eines Zeitungsartikels zu vermitteln, indem sie ihm einen Bestandteil mitteilen, der als solcher Ausdruck der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers dieses Artikels ist (....); allerdings kann bei sehr kleinen Teilen eines Sprachwerkes – wie einzelnen Wörtern oder knappen Wortfolgen – Urheberrechtsschutz daran scheitern, dass diese für sich genommen nicht hinreichend individuell sind (...).
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, die sich darauf beschränkt, die »kreative Höhe« der Texte pauschal in Abrede zu stellen, genießen die (...)Textausschnitte nach diesen Vorgaben urheberrechtlichen Schutz.“
Snippet-Nutzung von Textausschnitten mit 25 Worten bedarf Zustimmung des Presseverlags
Den Einwand der Antragsgegnerin, die öffentliche Zugänglichmachung sei jedenfalls nicht rechtswidrig, da es sich bei den Textausschnitten um kleinste Textausschnitte nach § 87 f Abs. 1 am Ende UrhG handele, wies das OLG München – wie schon das LG München – ebenfalls zurück.
"Der Begriff der kleinsten Textausschnitte hat auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestag (BT-Dr. 17/12534, S. 5) Eingang in den Gesetzestext gefunden. Nach der Begründung hierzu sind als derartige Textausschnitte nur schlagzeilenartige knappe Inhaltsbeschreibungen, zum Beispiel »Bayern schlägt Schalke«, anzusehen. Der Rechtsstreit gebietet es nicht, zahlenmäßige oder abstrakte Kriterien dafür aufzustellen, ab welchem Umfang ein Textausschnitt nicht mehr von der Privilegierung dieses Begriffs erfasst ist. Jedenfalls Textausschnitte mit einem Umfang von mindestens 25 Worten (...) wie sie im Streitfall zu beurteilen sind, gehen weit über eine schlagzeilenartig knappe Angabe hinaus und können deshalb nicht als kleinste Textausschnitte angesehen werden.“
Praxishinweis:
Das OLG München hat in diesem Urteil wichtige Aussagen zur Anwendung des Presseverleger-Leistungsschutzrechts (§ 87 f UrhG) getroffen. So stellte es ausdrücklich klar, dass jedenfalls Textausschnitte mit 20 - 25 Worten nicht mehr als kleinste Textausschnitte anzusehen sind und daher nicht von der Privilegierung nach § 87 f Abs. 1 am Ende UrhG umfasst sind. Für die Nutzung solcher Textausschnitte bedarf es daher der Zustimmung des Presseverlanges.
OLG München, Urteil vom 14.7.2016, Az. 29 U 953/16