Das OLG Köln hat mit Beschluss vom 22.02.2017 entschieden, dass die Beklagte in einem Gerichtsverfahren auch dann Anspruch auf Einsicht in die vollständige Gerichtsakte hat, wenn diese Geschäftsgeheimnisse der Klagepartei (hier: Quellcode einer Software) enthält.
Sachverhalt: Klägerin reicht Quellcode einer Software zur Gerichtsakte
Die Klägerin nahm die Beklagte im Eilverfahren wegen Urheberrechtsverletzungen an einer Software auf Unterlassung in Anspruch. Mit der Antragsschrift reichte die Klägerin zahlreiche Anlagen zur Glaubhaftmachung und zum Vergleich der Softwarelösungen der Parteien im Rahmen des von ihr beantragten Gutachtens ein. Die Anlagen enthalten unter anderem den Quellcode der Lösung der Klägerin, der Ergebnis einer jahrelangen Entwicklungsarbeit und erheblicher Investitionen ist.
Die Beklagte beantragte Einsicht in die Gerichtsakte. Dieses Akteneinsichtsgesuch wurde der Klägerin übermittelt. Im Rahmen ihrer Stellungnahme vertrat die Klägerin die Ansicht, dass der Beklagten kein Anspruch auf Einsicht in die gesamte Gerichtsakte zustehe, da diese Geschäftsgeheimnnisse, ua.a. den Quellcode der Software, von ihr enthalte.
Das LG gewährte der Beklagten nur teilweise Einsicht in die Gerichtsakte und verpflichtete die Prozessbevollmächtigten der Beklagten überdies zur Verschwiegenheit gegenüber der Beklagten.Hiergeben erhob die Beklagte Beschwerde beim OLG.
OLG Köln: Geschäftsgeheimnisse stehen umfassender Einsicht in Gerichtsakte nicht entgegen
Das OLG Köln gewährte der Beklagten umfassende Einsicht in die Gerichtsakte und hob die Geheimhaltungsverpflichtung ihrer Prozessbevollmächtigten auf. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Beklagte eines gerichtlichen Verfahrens einen grundgesetzlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör habe. Dieser Anspruch umfasse auch die Einsicht in die Gerichtsakte.
Das Recht auf Akteneinsicht sei vorliegend auch nicht einzuschränken. Vielmehr obliege es der Klägerin zu prüfen und zu entscheiden, welche Unterlagen sie im Verlaufe des Gerichtsverfahrens zur Gerichtsakte einreiche und auf diesem Wege Geschäftsgeheimnisse preisgebe:
"... ist es Sache der Antragstellerin, Ansprüche gegen die Antragsgegnerin geltend zu machen und die notwenigen Tatsachen beizubringen. Sie kann daher selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang sie ihre Geschäftsgeheimnisse preisgibt. Eine gesetzliche Regelung, die ihre Geschäftsgeheimnisse in diesem Fall schützt, existiert nicht.
Letztlich wäre allerdings auch eine sinnvolle Urteilsbegründung kaum möglich, wenn dort die Geschäftsgeheimnisse jedenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung des Sachverständigengutachtens zu berücksichtigen sind (...).
Auch wenn die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) der Antragstellerin auch die Wahrung ihre Geschäftsgeheimnisse umfasst (...), begründet dies keinen Anspruch darauf, dass dem Antragsgegner Aktenbestandteile nicht zur Kenntnis gebracht werden (...). Dementsprechend kommt auch eine Anordnung der Geheimhaltung des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin dieser gegenüber – anders als gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin – nicht in Betracht."
OLG Köln, Beschluss vom 22.02.2017, Az.: Az.: 6 W 107/16
Praxishinweis:
Diese Entscheidung belegt, welchen Spagat Kläger in Gerichtsverfahren mitunter zu bewältigen haben.
Trägt man als Kläger nicht ausreichend und umfassend vor bzw. belegt seinen Tatsachenvortrag nicht durch Unterlagen, Gutachten, etc. verliert man das Gerichtsverfahren, sofern die Gegenseite den eigenen Sachvortrag bestreitet.
Trägt man als Kläger ausreichend und umfassend vor und belegt seinen Sachvortrag durch Unterlagen, Gutachten, etc., gewinnt man den Prozess, offenbart der Gegenseite dann jedoch Geschäftsgeheimnisse.
Es muss daher wohl abgewogen werden, ob und welche Unterlagen man in einem Gerichtsverfahren einreicht bzw., ob sich das Klageverfahren am Ende tatsächlich lohnt.