Verlag: Urheberrechtsverletzung durch Artikeländerung

Zeitungsartikel mit roten Streichungen

Vor dem Landgericht Köln klagte ein freier Autor gegen einen Zeitungsverlag, weil dieser einen von ihm verfassten Artikel ohne seine Zustimmung verändert hatte. In dem Artikel ging es um die Verflechtung einer Politikerin mit einem Konzern. Der Verlag hatte Teile des Textes gestrichen und mit einem Hinweis versehen, dass frühere Fassungen irreführend gewesen seien. Das Gericht sah darin eine Urheberrechtsverletzung wegen Entstellung des Originaltextes und untersagte dem Verlag die weitere Veröffentlichung.

Verlag ändert Artikel ohne Zustimmung des Autors

Ein freier Schriftsteller, der regelmäßig für Publikationen schreibt, hatte einen Artikel für die "Z. Zeitung" verfasst. In diesem ging es um mögliche Verbindungen zwischen einer Verteidigungspolitikerin und einem großen Konzern im Rahmen von Lobbyarbeit. Der Autor hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass Änderungen am Artikel nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen.

Der Verlag hat den Artikel online veröffentlicht, jedoch später Änderungen vorgenommen: Bestimmte Abschnitte, die die Beziehungen der Politikerin zum Konzern zum Thema hatten, wurden entfernt und ein Hinweis wurde hinzugefügt, dass frühere Versionen des Artikels irreführend waren.

Autor geht gegen Verlag wegen Artikeländerung vor

Der Autor war mit dieser Version seines Artikels nicht einverstanden und mahnte den Verlag ab. Dieser lehnte eine Korrektur und die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab. Daraufhin erwirkte der Autor bei Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den Verlag, die es dem Verlag untersagte, den geänderten Artikel zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung des Artikels in seiner veränderten Form stelle - so das Gericht - eine Beeinträchtigung des Werkes des Autors dar.

Urteil: Artikeländerung ist Urheberrechtsverletzung

Der Verlag legte die Eilverfügung Widerspruch ein, jedoch ohne Erfolg. Das Gericht blieb bei seiner Auffassung, dass die Veröffentlichung des geänderten Artikels ohne Zustimmung des Autors eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Dabei stützte es sich auf die §§ 14 und 39 UrhG, welche Urheber vor Änderungen an ihrem Werk schützen. § 14 UrhG schützt Urheber vor einer Entstellung bzw. Verfälschung ihres Werkes. § 39 UrhG erlaubt nur Änderungen, die sich nicht auf den Inhalt auswirken.

§ 14 UrhG schützt Urheber vor Entstellung seines Werkes

Nach § 14 UrhG hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Das Gericht stellte fest, dass der Artikel durch das Entfernen bestimmter Passagen und die Hinzufügung eines redaktionellen Hinweises seitens des Verlags in seinem geistig-ästhetischen Gesamteindruck beeinträchtigt wird und der Autor diese Beeinträchtigung nicht hinnehmen muss.

Textkürzung verändert Aussagegehalt des Artikels

Das Gericht stellte fest, dass die vom Verlag vorgenommenen Streichungen den Aussagehgehalt des Textes ganz erheblich ändert:

"In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B.. … Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, …“

Textkürzung beeinträchtigt Interessen des Autors

Die Streichungen im Text beeinträchtigen auch die Interessen des Verfügungsklägers, da ihm nun eine veränderte Fassung zugeordnet wurde, die nicht von ihm stammt. Daher muss er vielleicht mit Kritik rechnen, da ihm vorgeworfen werden könnte, nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen der Verteidigungspolitikerin nicht ausreichend kritisch beleuchtet zu haben. Dies könnte den nicht beabsichtigten Eindruck erwecken, dass er parteiisch ist oder bestimmte Personen schützen möchte. Aufgrund des Hinweises des Verlags unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend waren, lief der klagende Autor auch Gefahr, der unsachgemäßen und möglicherweise tendenziösen Berichterstattung bezichtigt zu werden. Beides müsse er nicht akzeptieren.

Urheberinteressen überwiegen Verlagsinteressen

Das Gericht betonte, dass im vorliegenden Fall die Interessen des Urhebers an der Integrität seines Werks die wirtschaftlichen Interessen des Verlags an der Vermeidung einer Auseinandersetzung mit der Politikerin überwiegen. Das Anliegen des Autors, den Text unverändert zu erhalten, hat Vorrang, da die vom Verlag vorgenommenen Änderungen den Gesamteindruck des Artikels und damit die Aussagekraft und den geistigen Inhalt des Originalwerks erheblich beeinträchtigten.

Wirtschaftliches Interesse an Vermeidung eines Rechtsstreits mit Politkerin

Die Verteidigungsinteressen des Verlags, einschließlich der Vermeidung eines Rechtsstreits mit der Politikerin, wurden vom Gericht als geringer eingestuft:

"Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. - insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht. Das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen Prozess zu vermeiden, ist im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur und damit nach Auffassung des Gerichts nicht besonders gewichtig. Insbesondere sind auch die Prozessaussichten von Frau H.-Y. völlig unklar.“

Milderes Mittel: Verlag kann Originalartikel ganz zurückziehen

Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das Gericht auch, dass der Verlag den gesamten Artikel zurückziehen hätte können, anstatt Änderungen ohne Zustimmung des Autors vorzunehmen. Dadurch wäre nur ein geringer wirtschaftlicher Schaden, nämlich das Honorar des Autors, für den Verlag entstanden:

„ … wäre es aus Sicht der Verfügungsbeklagten geboten gewesen, den Verfügungskläger vor der Entfernung der beiden Textstellen um seine Zustimmung zu bitten. Hätte er zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte die Kürzungen unproblematisch vornehmen können. Hätte er nicht zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte den Artikel im Gesamten von ihrem Online-Auftritt entfernen können. Der Beklagten wäre in diesem Fall lediglich ein Schaden in Höhe des an den Kläger gezahlten Honorars von 400,00 EUR entstanden. Indem sie eine entsprechende Nachfrage unterließ, gewährte sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen eigenständig Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Verfügungsklägers. Sie beeinträchtigte damit das Urheberrecht des Verfügungsklägers in so schwerwiegender Weise, dass sein Interesse die Interessen der Verfügungsbeklagten und die Interessen von Frau H.-Y. nach Auffassung des Gerichts überwiegt.“

§ 39 UrhG schützt Urheber vor Änderungen am Werk

Der Verlag hatte ferner argumentiert, dass Textänderungen branchenüblich seinen und § 39 Abs. 2 UrhG Änderungen erlaube. Nach § 39 Abs. 2 UrhG sind Änderungen des Werkes und seines Titels, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, zulässig.

Vor Gericht konnte sich der Verlag jedoch auch damit nicht durchsetzen. Das Gericht stellte klar, dass § 39 Abs. 2 UrhG nur geringfügige Änderungen des Werkes erlaube, nicht jedoch solche, die den Aussagegehalt des Werkes beeinflussen. Die hier vom Verlag vorgenommenen Kürzungen seien nicht geringfügig, sondern beeinträchtigen den Gesamteindruck des Artikels ganz erheblich, so dass eine Duldungspflicht nach § 39 Abs. 2 UrhG nicht bestehe:

…erlaubt § 39 Abs. 2 UrhG bei Printmedien lediglich die Korrektur von Schreib- oder Interpunktionsfehlern, ggf. auch die Verbesserung sprachlicher Ausdrücke etwa eines nicht muttersprachlichen Autors. Die sinnentstellende Kürzung von Beiträgen ist jedoch nicht von § 39 Abs. 2 UrhG umfasst.“

Das Gericht hat dem Verlag daher verboten, den Artikel in der geänderten Fassung mit den vom Autor beastandeten Auslassungen weiterhin zu veröffentlichen. Zudem muss der Verlag die Kosten des Rechtsstreits tragen.

Landgericht Köln, Urteil vom 10.8.2023, 14 O 144/23

Praxishinweis:

Das Landgericht Köln betont die Bedeutung des Urheberpersönlichkeitsrechts in Konfliktsituationen gegenüber Verlagsinteressen und stärkt damit die Rechte von Autoren und anderen Urhebern.

Wenn Verlage Texte kürzen oder sonstige Änderungen vornehmen, die den geistigen Gesamteindruck des Textes verändern oder gar verfälschen, haben Autoren das Recht, dagegen vorzugehen. Verlage sollten bei der Überarbeitung von Texten daher stets prüfen, ob es sich um Änderungen handelt, die den Aussageinhalt des Textes beeinträchtigen; in diesem Fall ist die Zustimmung des Urhebers einzuholen.

Nach § 39 UrhG dürfen nur Rechtschreib- oder Interpunktionsfehler korrigiert und gegebenenfalls sprachliche Ausdrucksweisen von nicht muttersprachlichen Autoren verbessert werden, ohne die Zustimmung des Autors einzuholen. Sinnentstellende Kürzung von Texten ist nicht gestattet.

Ob Kürzungen oder sonstige Textänderungen eine Entstellung im Sinne von § 14 UrhG darstellt, muss im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände geprüft werden. Dabei kommen wirtschaftlichen Interessen des Verlages oder das Bestreben, Rechtsstreitigkeiten mit Dritten zu vermeiden, weniger Gewicht zu als den Urheberrechten des Autors.

Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, sollten Verlage:

⇒ Verträge mit Autoren auf Klauseln über Textänderungen hin überprüfen und gegebenenfalls anpassen.
⇒ Redaktionsmitarbeiter in urheberrechtlichen Fragen schulen, damit diese wissen, wann und wie Änderungen rechtlich zulässig sind.
⇒ Klare redaktionelle Richtlinien für das Lektorat und die Textbearbeitung festlegen, die das Urheberrecht respektieren.
⇒ Vor jeder Textänderung eine sorgfältige Abwägung der Urheberinteressen gegenüber den Verlagsinteressen vornehmen.
⇒ Im Zweifelsfall mit dem Autor Rücksprache halten und diesen um Zustimmung bitten oder den Text zurückziehen.