Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Köln schafft Klarheit über die rechtliche Bedeutung von Beschwerden (Strikes) auf YouTube & Co. Das Gericht entschied, dass eine förmliche Abmahnung in der Regel nicht durch die Nutzung eines plattforminternen Beschwerdeverfahrens ersetzt wird. Führt ein Rechteinhaber lediglich das plattforminterne Beschwerdeverfahren durch, mahnt den Uploader jedoch nicht ab, läuft er Gefahr, im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses des Uploaders im einstweiligen Verfügungsverfahren die Kosten gem. § 93 ZPO tragen zu müssen.
Sachverhalt: Urheberrechtsverstoß auf YouTube - Beschwerde - Eilantrag ohne vorherige Abmahnung
Im vorliegenden Fall ging es um die unerlaubte Veröffentlichung einer Videoproduktion auf YouTube, die urheberrechtlich geschütztes Material eines albanischen Medienunternehmens enthielt. Die Klägerin, die über die Nutzungsrechte an dem Video verfügte, reichte bei YouTube eine Beschwerde (Strike) ein, um das Video sperren zu lassen. Der Beklagte, der das Video hochgeladen hatte, reagierte darauf mit einer Gegendarstellung (sog. Counter Notification), woraufhin YouTube das Video wieder freigab. Die Klägerin verzichtete auf eine förmliche Abmahnung und beantragte stattdessen direkt bei Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den Uploader.
Entscheidung: Ohne Abmahnung trägt Rechteinhaber Kosten des Eilverfahrens
Das Landgericht Köln entschied, dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe, da sie den Beklagten vor Beantragung der einstweiligen Verfügung nicht ordnungsgemäß abgemahnt habe. Das Gericht stellte klar, dass das YouTube-interne Beschwerdeverfahren eine Abmahnung weder ersetze noch entbehrlich mache. Eine Abmahnung sei grundsätzlich erforderlich, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, den Vorwurf zu prüfen und eine außergerichtliche Einigung zu ermöglichen.
Regel: Vor Unterlassungsklage Abmahnung erforderlich, um Kostenlast zu vermeiden
"Zunächst geht die Kammer davon aus, dass eine Abmahnung vor der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen Urheberrechtsverletzungen grundsätzlich notwendig ist, um die Kostenfolge des § 93 ZPO abzuwenden. Dies folgt zunächst aus der gesetzgeberischen Wertung des § 97a Abs. 1 UrhG (...). Zwar handelt es sich dabei um eine „Soll-Vorschrift“ und keine gesetzliche Pflicht. Jedoch ergibt sich auch aus dieser „Soll-Vorschrift“ die vom Gesetzgeber gewünschte Funktion der Abmahnung, ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Davon soll nur in Ausnahmefällen abgewichen werden. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Denn weder war vorliegend aus zeitlichen, noch aus sachlichen Gründen, ein Fall gegeben, in dem die Durchführung der Abmahnung zu einem unzumutbaren Nachteil der Verfügungsklägerin führen könnte.“
Beschwerde bei YouTube ersetzt keine förmliche Abmahnung
Die Beschwerde bei YouTube reicht nach Ansicht des Landgerichts Köln nicht aus, um eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich zu machen. Die Bereitstellung eines plattforminternen Beschwerdeverfahrens durch YouTube diene in erster Linie dazu, selbst der Haftung für Urheberrechtsverletzungen durch Uploader zu entgehen:
"Das System von „M.s“ und „Counter Notifications“ bei B. (...) hat einen gänzlich anderen Sinn und Zweck als das grundsätzliche Abmahnerfordernis. Deshalb ist die Beschwerdemöglichkeit von Rechteinhabern (...) grundsätzlich nicht gleichwertig oder sogar vorrangig zu einer Abmahnung. (...) Das System dient sicherlich auch der Unterbindung von Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtsinhaber. Jedoch sind die Plattformbetreiber (...) kein Ersatz- oder Spezialgericht für Rechtsverletzungen im Internet. Demnach wies B. nach Eingang der Counter Notification des Verfügungsbeklagten zu Recht die Verfügungsklägerin darauf hin, dass sie binnen 10 Tagen gerichtlich gegen die öffentliche Zugänglichmachung vorzugehen hat. Denn die Frage, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, bleibt den Gerichten, konkret den spezialisierten Spruchkörpern (...) vorbehalten. Dann wiederum ist eine Abmahnung nach § 97a Abs. 1 UrhG aber der Regelfall. Die von B. gewährten 10 Tage genügen auch ohne Weiteres für eine Abmahnung mit einer angemessenen Frist und danach der Einreichung eines Verfügungsantrags. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der vorliegende Sachverhalt keine maßgeblichen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweist, vielmehr die Rechtsverletzung maßgeblich durch Vergleich der streitgegenständlichen Videos rechtlich bewertet werden kann.“
Rechteinhaber bleibt ohne vorherige Abmahnung bei sofortigem Anerkenntnis auf Kosten sitzen
Da der Uploader den Unterlassungsanspruch sofort nach Zustellung der einstweiligen Verfügung anerkannt hatte, erlegte das Gericht dem Rechteinhaber die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens auf. Obwohl er in der Sache obsiegte, musste der Rechteinhaber sowohl die Gerichtskosten als auch seine eigenen Anwaltskosten und die Anwaltskosten des Uploaders tragen. Finanziell ein Desaster.
"... hat die Kosten des Rechtsstreits die Verfügungsklägerin gem. § 93 ZPO zu tragen, weil der Verfügungsbeklagte sofort anerkannt hat und keine Veranlassung für dieses einstweilige Verfügungsverfahren gegeben hat. (...)
Der Beklagte gibt Veranlassung zur Klage, wenn er sich vor Prozessbeginn so verhält, dass der Kläger davon ausgehen muss, er werde nur durch Klageerhebung zu seinem Recht kommen. Eine Veranlassung zur Klageerhebung in den Fällen des gewerblichen Rechtsschutzes liegt regelmäßig vor, wenn auf eine nicht entbehrliche und ordnungsgemäße Abmahnung keine ausreichende Unterwerfungserklärung erfolgt. (...) Eine Abmahnung ist dann nicht erforderlich bzw. dem Antragsteller sogar unzumutbar, wenn zum einen die Gefahr besteht, dass der Antragsgegner aufgrund der Abmahnung eine Besichtigung des Gegenstandes durch Veränderung oder Beiseiteschaffen vereiteln würde, und/oder (2) dass die Abmahnung und die entsprechende Fristsetzung soviel Zeit in Anspruch nehmen würden, dass der Gegenstand dem Besichtigungszugriff entzogen würde; dies ist regelmäßig bei Besichtigungsansprüchen der Fall (...)
Soweit ersichtlich ist die Rechtsfrage, ob ein „M.“ bei B. einer Abmahnung gleich steht oder diese entbehrlich macht, noch nicht entschieden worden. Die Kammer ist der Ansicht, dass ein solcher „M.“ grundsätzlich nicht einer urheberrechtlichen Abmahnung im Sinne von § 97a UrhG gleichsteht und diese auch grundsätzlich nicht entbehrlich macht."
LG Köln, Anerkenntnisurteil vom 22.07.2024, 14 O 197/24
Praxishinweis
⚠️ Rechteinhaber sollten sich nicht allein auf das plattforminterne Beschwerdeverfahren verlassen. Vor der Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ist eine förmliche Abmahnung unerlässlich. Dies gilt auch dann, wenn der Plattformbetreiber, wie z.B. YouTube, auf die Beschwerde reagiert hat. Ohne Abmahnung laufen Rechteinhaber Gefahr, die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen, auch wenn sie in der Sache Recht bekommen.
⚠️ Plattformnutzer sollten sich bewusst sein, dass eine Gegendarstellung das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht verringert, selbst wenn keine förmliche Abmahnung vorausgegangen ist.
⚖️🛡️ Als spezialisierte Rechtsanwältin im Urheberrecht stehe ich Ihnen sowohl als Rechteinhaber, der seine Ansprüche durchsetzen möchte, als auch als Uploader, der sich gegen unberechtigte Forderungen verteidigen muss, zur Seite. Wenn Sie rechtliche Unterstützung benötigen, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden. Gemeinsam finden wir die beste Strategie, um Ihre Rechte zu schützen und rechtliche Konflikte effektiv zu lösen.