Betrug: Abmahnkosten trotz interner Kostenfreistellung durch Anwalt

BGH verurteilt Abmahnanwalt wegen Betruges

Der BGH hat entschieden (Beschluss vom 08.02.2017), dass das Versenden von Abmahnungen einen Betrug darstellt, wenn das Handeln des Abmahners ausschließlich darauf ausgerichtet ist, Einnahmen zu erzielen, d.h. es nicht um wettbewerbsrechtliche Ziele geht. Zudem liege ein "klassischer Fall" des Rechtsmissbrauchs (§ 8 Abs. 4 UWG) vor, wenn der Abmahnanwalt mit dem Abmahner vereinbart, dass dieser keine Rechtsanwaltskosten tragen muss, sondern die von Abgemahnten gezahlten Abmahnkosten intern geteilt werden.

Durch den Beschluss wurde die Revision eines wegen Betruges veurteilten Abmahnanwaltes als unbegründet verworfen.

Nachstehend der Beschluss im Volltext:

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 2. Juni 2016 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 25 Fällen und versuchten Betruges in 352 Fällen sowie wegen Beihilfe zu 31 Fällen des Betruges und zu 1.118 Fällen des versuchten Betruges zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte war als Rechtsanwalt in S. tätig und arbeitete dort ab Ende 2011 als Einzelanwalt. Zum Aufbau seiner Kanzlei hatte er bei einem Bekannten ein Darlehen in Höhe von 30.000 Euro aufgenommen. Der Mitangeklagte W. betrieb bis Ende 2012 ein Sportgeschäft mit Onlineshop in S. und wollte aufgrund erheblicher Umsatzeinbußen kurzfristig anderweitige Einkünfte erzielen.

2. Im Juni oder Juli 2012 kamen der Angeklagte und W. mit Blick auf ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten überein, dass der Angeklagte als anwaltlicher Bevollmächtigter des W. Ebayverkäufer von Sport- und Freizeitartikeln wegen angeblicher Verschleierung ihrer Unternehmereigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 3 UWG i.V.m. dem Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 23 UWG abmahnen sollte. W. und der Angeklagte vereinbarten von vornherein, dass die durch die Beauftragung des Angeklagten anfallenden Rechtsanwaltsgebühren nicht von W. verlangt werden, sondern dass sie vielmehr die eventuell eingehenden Gelder der abgemahnten Personen hälftig unter sich aufteilen würden. Für den Fall, dass die Abgemahnten nicht zahlten, sollten W. demgemäß keinerlei Kosten für die Tätigkeit des Angeklagten entstehen. Eine über die Gebührenforderung hinausgehende Durchsetzung behaupteter wettbewerbsrechtlicher Ansprüche gegen die Abgemahnten war von W. und dem Angeklagten nicht beabsichtigt.

Entsprechend diesem Tatplan schrieb der Angeklagte am 9. August 2012 insgesamt 377 Ebayverkäufer mit einem Serienbrief an und mahnte sie im Namen von W. wegen getätigter Verkäufe ab, weil sie im Wettbewerb mit diesem stünden. Aufgrund der Vielzahl an Ebayverkäufen seien sie als Unternehmer anzusehen und würden ihre Unternehmereigenschaft verschleiern. Dieses unlautere Verhalten begründe einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil gegenüber W. .

Den Schreiben lag jeweils eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bei; sie enthielten ferner eine Gebührenberechnung der zugleich geltend gemachten Abmahnkosten in Höhe von 555,60 Euro bzw. 755,80 Euro netto (1,3-Geschäftsgebühr aus Gegenstandswerten von 8.000 Euro bzw. 15.000 Euro nebst Auslagenpauschale i.H.v. 20 Euro), wobei der Angeklagte - bewusst wahrheitswidrig - behauptete, dass diese Kosten seinem Mandanten W. als Schaden durch seine Beauftragung als Rechtsanwalt entstanden seien. Dem Angeklagten und W. kam es hierbei darauf an, die Adressaten darüber zu täuschen. Im Vertrauen auf diese Angaben zahlten 25 Geschädigte in der Zeit vom 15. August 2012 bis zum 13. September 2012 einen Gesamtbetrag von 13.173,20 Euro auf das Anderkonto des Angeklagten. Die übrigen Abgemahnten zahlten nicht.

3. Am 12. September 2012 versandte der Angeklagte in Absprache mit W. erneut entsprechende Abmahnschreiben an 1.149 Ebayverkäufer, aber nur mit der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, ohne jedoch Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben geltend zu machen. Auch bei diesen Schreiben waren sich der Angeklagte und W. von vornherein einig, dass der Angeklagte keine Gebühren von W. verlangen würde. Nachdem am 25. September 2012 sowohl bei dem Angeklagten als auch bei W. Durchsuchungen stattgefunden hatten, wollte sich der Angeklagte von diesem Abmahnprojekt distanzieren. W. wollte aufgrund seiner finanziellen Situation jedoch nach wie vor die Rechtsanwaltsgebühren aus den Abmahnungen vom 12. September 2012 als Schadensersatz bei den Abgemahnten geltend machen und schloss sich zu diesem Zweck mit dem Mitangeklagten H. zusammen, mit dem er eine hälftige Aufteilung der eingehenden Gelder vereinbarte. Zwischen W. , H. und dem Angeklagten bestand Übereinstimmung, dass W. keiner Gebührenforderung des Angeklagten ausgesetzt war, ihm mithin keine Aufwendungen für dessen Beauftragung entstehen würden.

Am 12. Dezember 2012 schrieb W. die Abgemahnten an und forderte sie auf, ihm die angeblich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 555,60 Euro bzw. 755,80 Euro (1,3-Geschäftsgebühr aus Gegenstandswerten von 8.000 Euro bzw. 15.000 Euro nebst Auslagenpauschale i.H.v. 20 Euro) zu überweisen. Der Angeklagte unterstützte W. und H. hierbei, indem er H. am 7. Dezember 2012 per Email zwei mit seiner eingescannten Unterschrift versehene Blanko-Rechnungsvorlagen - mit den beiden vorbezeichneten Streitwerten - übersandte. H. passte die Rechnungen anschließend an die jeweiligen Abgemahnten an und organisierte deren Versand. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben überwiesen 31 Abgemahnte im Zeitraum vom 14. Dezember 2012 bis zum 5. März 2013 insgesamt 16.289,70 Euro auf das Konto von W. . Die anderen Abgemahnten zahlten nicht.

II.
Die auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung, insbesondere auf den Geständnissen des Angeklagten und des Mitangeklagten W. beruhenden Feststellungen, tragen den Schuld- und den Strafausspruch. Der Erörterung bedarf in Ergänzung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nur Folgendes:

1. Der Schuldspruch wegen Betruges in 25 Fällen und versuchten Betruges in 352 Fällen durch das Versenden der Abmahnschreiben am 9. August 2012 hält rechtlicher Überprüfung stand.

Mit der Geltendmachung der Abmahnkosten als dem Mitangeklagten W. entstandenen Schaden für die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche ist tatbestandlich eine Täuschung der abgemahnten Ebayverkäufer im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB zu sehen. Insofern erklärte der Angeklagte in den Schreiben aus Sicht der Empfänger zumindest konkludent, dass der Forderung ein wettbewerbsrechtlich bedeutsamer Abmahnvorgang zugrunde lag und dass es nicht um die bloße Generierung von Rechtsanwaltsgebühren ging, es sich mithin um keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Ansprüche aus §§ 9, 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 3 UWG und dem Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 23 UWG handelte (..).

Das Handeln des Angeklagten und des Mitangeklagten W. war jedoch rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG. Diese Vorschrift führt als typischen Fall der unzulässigen, weil rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung der Ansprüche aus §§ 3, 8 Abs. 1 UWG gerade an, dass vorwiegend ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen soll. Das Handeln des Angeklagten und des Mitangeklagten W. war nach den Feststellungen ausschließlich darauf ausgerichtet, solche Einnahmen zu generieren, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern; weitergehende wettbewerbsrechtliche Ziele verfolgten sie nicht. Die vorliegende Fallkonstellation, in der der abmahnende Mandant mit seinem Rechtsanwalt vereinbart, dass er keine Rechtsanwaltskosten zu tragen habe und er die vom Abgemahnten gezahlten Gelder mit dem Anwalt teilen werde, ist ein "klassischer Fall" des Rechtsmissbrauchs (...).

Die konkludente Erklärung der berechtigten Abrechnung der Abmahnkosten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG) stellt zudem nicht lediglich ein Werturteil, sondern eine Täuschung über den zugrundeliegenden Tatsachenkern dar (....). Die Empfänger der Erklärungen wurden nach der Verkehrsanschauung nämlich nicht (lediglich) über die Rechtsfrage getäuscht, ob ein Anspruch besteht, sondern über die tatsächliche eigentliche Zielrichtung der Abmahnschreiben, ausschließlich - nach § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchliche - Gebührenforderungen generieren und entsprechende Zahlungseingänge unter sich aufteilen zu wollen, anstatt ein Unterlassen des unlauteren Verhaltens der Abgemahnten zu bewirken. Damit wurde über innere Tatsachen getäuscht.

Das Landgericht hat es zwar explizit dahinstehen lassen, ob ein Fall des Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG gegeben ist. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind dessen Voraussetzungen aber zweifelsfrei gegeben. Den Geschädigten, die die Abmahnkosten beglichen haben, ist danach - entgegen der Ansicht der Strafkammer, die lediglich den hälftigen Betrag als Schaden in Ansatz gebracht hat - ein Schaden in Höhe des gesamten Zahlungsbetrags entstanden. Dieser Bewertungsfehler beschwert den Angeklagten jedoch nicht.

2. Auch die Verurteilung wegen Beihilfe zu 31 Fällen des Betruges und zu 1.118 Fällen des versuchten Betruges begegnet aus den genannten Gründen keinen Bedenken. Das Zurverfügungstellen der mit der Unterschrift des Angeklagten versehenen Blanko-Rechnungsvorlagen stellt eine Beihilfe zu der Tat der Mitangeklagten W. und H. im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB dar. Als Hilfeleistung ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (...). Mit dem Übersenden der Blanko-Rechnungsvorlagen förderte der Angeklagte die Taten der Mitangeklagten W. und H. vorliegend sogar maßgeblich, weil erst diese Vorlagen die betrügerischen Rechnungsstellungen überhaupt ermöglichten.

In dieser Fallkonstellation hat das Landgericht zu Recht einen Vermögensschaden in Höhe des vollen in Rechnung gestellten Betrags angenommen. Auch hier liegt gemäß § 8 Abs. 4 UWG eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Ansprüche aus § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. dem Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 23 UWG, §§ 9, 12 Abs. 1 Satz 2 UWG vor, so dass ein Zahlungsanspruch gegen die Abgemahnten nicht bestand.

BGH, Beschluss vom 08.02.2017 - 1 StR 483/16