Der BGH hat mit Urteil vom 22.03.2018 entschieden, dass ein Schreiben eines Inkassounternehmens, das eine Zahlungsaufforderung sowie die Androhung gerichtlicher Schritte und anschließender Vollstreckungsmaßnahmen enthält, keine wettbewerbswidrige aggressive geschäftliche Handlung darstellt. Das gilt jedenfalls dann, wenn in dem Schreiben nicht verschleiert wird, dass der Schuldner in einem Gerichtsverfahren geltend machen kann, den geforderten Betrag nicht zu schulden.
Sachverhalt: Inkassoschreiben mit Androhung gerichtlicher Schritte und Vollstreckungsmaßnahmen nebst Haftbefehl
Klägerin ist eine Verbraucherzentrale. Die Beklagte betreibt ein Inkassounternehmen. Zur Eintreibung von Forderungen gegenüber Verbrauchern verwendet sie Schreiben, in denen die Verbraucher unter Androhung gerichtlicher Schritte und von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Zahlung aufgefordert und ihnen verschiedene Zahlungsvarianten angeboten werden. Der konkret beanstandete text lautete:
"Letztmalig geben wir Ihnen die Möglichkeit, Ihre Forderungsangelegenheit ohne negative Auswirkungen für Sie zu erledigen. Die Gesamtforderung beträgt derzeit € … und wächst durch Zinsen und Gebühren laufend an. Dieser Betrag erhöht sich nochmals erheblich, sobald wir einen gerichtlichen Mahnbescheid gegen Sie veranlassen. Nutzen Sie diese Chance und ersparen Sie sich gerichtliche Schritte und den Besuch des Gerichtsvollziehers oder Pfändungsmaßnahmen auf Konten und Einkünfte. (...)
Die Einleitung gerichtlicher Schritte steht unmittelbar bevor. Nach Erwirkung eines Vollstreckungstitels besteht 30 Jahre lang die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung gegen Sie zu betreiben: Gerichtsvollzieher, Lohnpfändung, Kontopfändung, Haftbefehl, eidesstattliche Versicherung etc. … Zusätzlich sind die durch diese Maßnahmen entstehenden Kosten gemäß §§ 284, 286 BGB von Ihnen zu tragen. Die derzeit offene Gesamtforderung von € … wird sich dadurch weiter erhöhen. (...)."
Die klagende Verbraucherzentrale war der Ansicht, die Beklagte beeinträchtige mit diesen Zahlungsaufforderungen in wettbewerbswidriger Weise die Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern durch unangemessenen Druck. Sie mahnte die Beklagte daher wegen Wettbewerbsverstoßes ab. Da die Beklagte keine Unterlassungserklärung abgab, erhob die Klägerin Klage.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision zum BGH blieb erfolglos.
BGH: Inkassounternehmen dürfen Druck auf Schuldner aufbauen
Ebenso wie die Vorinstanzen, sieht der BGH in dem Inhalt der Zahlungsaufforderung keine unzulässige Beeinflussung des angesprochenen Verbrauchers.
"Das Berufungsgericht hat angenommen, das Schreiben der Beklagten (...) stelle eine mit bestimmten Zahlungsvorschlägen verbundene Zahlungsaufforderung sowie die Androhung gerichtlicher Schritte und anschließender Vollstreckungsmaßnahmen dar. Es suggeriere nicht, dass eine Rechtsverteidigung des Schuldners aussichtslos sei. Es verschleiere auch nicht, dass der Schuldner in einem Gerichtsverfahren geltend machen könne, den beanspruchten Geldbetrag nicht zu schulden. Es sei davon auszugehen, dass auch der juristisch nicht vorgebildete Verbraucher wisse, dass er in einem Zivilprozess nicht zwangsläufig zur Zahlung verurteilt werde und seine eigene Sachverhaltsdarstellung und Rechtsauffassung dem Gericht zur Prüfung unterbreiten könne. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand."
Eintreibung von verjährten Forderungen zulässig
Sodann stellte der BGH fest, dass Inkassounternehmen auch bereits verjährte Forderungen eintreiben dürfen.
"Der Versuch der Beitreibung einer bestrittenen oder möglicherweise verjährten Forderung ist jedoch für sich genommen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zivilprozessordnung ermöglicht es einem Gläubiger, in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Frage klären zu lassen, ob die von ihm geltend gemachte Forderung besteht und ihr keine durchgreifenden Einwendungen entgegenstehen. Da es zudem im Belieben des Schuldners einer verjährten Forderung steht, sich im Falle einer Inanspruchnahme auf die Einrede der Verjährung zu berufen oder die verjährte Forderung zu begleichen, hindert § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG einen Gläubiger oder ein von ihm eingeschaltetes Inkassounternehmen nicht daran, den Schuldner aufzufordern, zur Vermeidung einer gerichtlichen Inanspruchnahme eine solche Forderung zu begleichen."
Drohung mit gerichtlichen Schritten und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zulässig
Nach dem BGH dürfen Inkassounternehmen auch einen gewissen Druck auf Schuldner dadurch aufbauen, dass sie darauf hinwiesen, dass die Einleitung gerichtlicher Schritte unmittelbar bevorstehe.
"Die Revision macht vergeblich geltend, die entsprechenden Passagen in dem Schreiben vom 23. März 2015 verschleierten, dass es zunächst gerichtlicher Schritte der Beklagten bedürfe, bevor die angedrohten Vollstreckungsmaßnahmen bis hin zum Haftbefehl möglich seien. Die abweichende Beurteilung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision lässt das Schreiben der Beklagten vom 23. März 2015 die für die angekündigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erforderlichen Schritte - die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Klärung bestrittener Ansprüche - nicht ungenannt. In dem Schreiben ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Möglichkeit zur Zwangsvollstreckung erst nach Erwirkung eines Vollstreckungstitels besteht."
Auch Drohung mit Haftbefehl zulässig
Schließlich ist selbst die Drohung mit einem Haftbefehl kein zulässiges Mittel, um einen Verbraucher zur Begleichung von Forderungen zu veranlassen.
"Bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen kann zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft ein Haftbefehl ergehen, sofern der Schuldner dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleibt oder die Abgabe der Vermögensauskunft verweigert (§ 802g ZPO). Das Schreiben der Beklagten vom 23. März 2015 enthält zwar keine Erklärung, dass die Anordnung von Erzwingungshaft im Vollstreckungsverfahren voraussetzt, dass der Schuldner die Vermögensauskunft unentschuldigt nicht abgegeben hat. Dies führt jedoch nicht dazu, die beanstandete Passage als wettbewerbsrechtlich unzulässig anzusehen. Ein Gläubiger oder ein von ihm eingeschaltetes Inkassounternehmen darf bei Abfassung einer letzten vorgerichtlichen Mahnung dem Schuldner vom Gesetz vorgesehene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Erwirkung eines Titels schlagwortartig benennen, ohne im Einzelnen deren Voraussetzungen darlegen zu müssen."
BGH, Urteil vom 22.03.2018, Az.: I ZR 25/17