Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 05.08.2015 entschieden, dass ein Domainregistrar nicht für Verstöße auf den unter der Domain abrufbaren Webseiten haftet, insbesondere snd die Grundsätze zur Haftung von Host-Providern nicht auf den Domainregistrar anwendbar. Der Beschluss nachstehend im Volltext:
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin ist ein Domainregistrar.
Auf der Webseite www.a...com erschien ein Beitrag ..., der Äußerungen über die Antragstellerin enthält. Der Beitrag ist unterzeichnet mit "J..." und "L...".
Die Antragsgegnerin ist als Registrar der streitgegenständlichen Webseite eingetragen .... Als "Registrant" und als Admin-C der Webseite ist der Name "... Privacy" hinterlegt. Die Adresse stimmt insoweit mit der Adresse der Antragsgegnerin überein.
Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin ab und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Da die Antragsgegnerin keine Unterlassungserklärung abgab, beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragstellerin dahingehend, dass dieser untersagt werden sollte, auf der von ihr gehosteten Internet-Seite www.a....com ... den Beitrag zum Abruf bereitzuhalten oder auf ihn zu verlinken oder folgende dort enthaltene Behauptungen und Schmähkritiken zu verbreiten oder zugänglich zu machen:
Entscheidung Landgericht
Das Landgericht wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück, da die Antragsgegnerin nicht als Host Provider auf Unterlassung hafte. Zur Begründung führte das Gericht wie folgt aus.
"Die Antragsgegnerin haftet auch nicht in ihrer Rolle als Registrar als Störer nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB auf Unterlassung. Ihr ist eine Verletzung von Prüfungs- und Überwachungspflichten nicht vorzuwerfen.
a. Die Haftung des Störers setzt die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus. Dabei sind (...) für die Bewertung solcher Prüfpflichten die jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu berücksichtigen, ferner die Funktion des Anspruchsgegners und seine Aufgabenstellung sowie die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat.
b. Ein Domain-Registrar führt Registrierungen von Internet-Domains durch. (...)
Domainnamen werden nach einer hierarchischen Struktur gebildet. Die oberste Ebene - die Top-Level Domain („TLD“) - befindet sich am Ende des Domainnamens (z.B. „.com“ oder „.de“). Hierbei unterscheidet man zwischen länderspezifischen (z.B. „.de“) und generischen TLDs. Die darunter befindliche Ebene wird als Second-Level Domain („SLD“) bezeichnet (...). Sie stellt den eigentlich kennzeichnenden und frei wählbaren Teil des Domainnamens dar, im vorliegenden Fall [...].
Die Koordinierung und Verwaltung von Top-Level-Domains ist Aufgabe der "Internet Corporation for Assigned Names and Numbers" (ICANN), einer Non-Profit-Organisation mit Sitz in den USA. Die ICANN delegiert die Verwaltung der einzelnen TLDs an andere Organisationen und Unternehmen, die sogenannten Registries. Die länderspezifischen TLDs werden dabei von nationalen, im Regelfall privatrechtlich organisierten Registries administriert. Z.B. in Deutschland ist dies für die deutsche länderspezifische TLD „.de“ das Deutsche Network Information Center (DeNIC) mit Sitz in Frankfurt/Main. Die Registries treten nicht selbst in unmittelbare Vertragsbeziehungen mit den Domainanmeldern, sondern ermächtigen damit wiederum andere Unternehmen (...). Dies sind die sogenannten Registrare, die wiederum bei der ICANN akkreditiert sein müssen. Sie schließen Verträge über die Registrierung und Verwaltung von (Second-Level-)Domains mit Endkunden. Zusätzlich betreiben sie in der Regel sogenannte Nameserver, die technisch beim jeweiligen Abruf die Verknüpfung der Domain mit der IP-Adresse bewerkstelligen. Registrare können dabei - neben dem Betrieb der Nameserver - weitere Dienste anbieten, beispielsweise die Bereitstellung von Speicherplatz (...), wodurch sie dann gleichzeitig als Host Provider agieren.
Nach den Vorgaben der ICANN ist jeder Registrar verpflichtet, die Kontaktdaten des Domaininhabers sowie der administrativ und technisch zuständigen Personen bei der Domainregistrierung abzufragen und zu speichern. Die Daten werden in sogenannte WHOIS-Datenbanken im Internet öffentlich zur Verfügung gestellt (...). Als Domaininhaber kann jedoch - abhängig auch von den Bestimmungen der jeweiligen Registry - auch eine dritte, treuhänderisch beauftragte Person oder Organisation angegeben werden (...).
c. Zur Haftung für Rechtsverletzungen aus einer Domain selbst, z.B. durch Namens-und Kennzeichenrechtsverletzungen, hat die Rechtsprechung speziell zur - nicht-kommerziell handelnden - DeNIC strenge Anforderungen aufgestellt (...). Danach soll die DeNIC nur als Störerin haften, wenn die Rechtsverletzung "offenkundig" und ohne weiteres feststellbar ist. Im Regelfall soll der Dritte darauf verwiesen werden können, eine Klärung im Verhältnis zum Inhaber des umstrittenen Domain-Namens herbeizuführen. Die Ablehnung oder Aufhebung eines Domainnamens soll folglich nur dann ergehen, wenn für den zuständigen Sachbearbeiter unschwer zu erkennen ist, dass die Nutzung der Domain Rechte Dritter beeinträchtigt (...). Unschwer zu erkennen sein soll eine Verletzung von Kennzeichenrechten nur dann, wenn ein rechtskräftiger gerichtlicher Titel oder eine unzweifelhaft wirksame Unterwerfungserklärung des Domaininhabers vorliegt, oder wenn die Rechtsverletzung derart eindeutig ist, dass sie sich dem Sachbearbeiter aufdrängen muss. (...).
Zur Haftung von Registraren, die nachrangig zur DeNIC als Registry stehen und anders als diese kommerziell handeln, besteht Einigkeit darüber, dass ihnen keine generelle Überprüfungspflicht hinsichtlich von Inhalten obliegt. Registrare müssen daher nicht proaktiv die Inhalte unter der Domain überprüfen oder überwachen. Eine Haftung kommt daher überhaupt erst ab Kenntnis von einer konkreten Rechtsverletzung in Betracht, die regelmäßig durch den Hinweis des Verletzten herbeigeführt wird.
Auf der anderen Seite ist für die - nachrangig zur DeNIC als Registry stehenden und kommerziell handelnden - Registrare von der Rechtsprechung teilweise die BGH-Rechtsprechung zur DeNIC betreffend die Haftung „für den Domain-Namen“ übertragen worden auf die Haftung "für die Inhalte unter der Domain", wobei zum Teil eine Haftung im konkreten Einzelfall abgelehnt (...) und zum Teil aufgrund "Offenkundigkeit" angenommen wurde (...). Weiter wurde teilweise unter Übertragung der Rechtsprechung des BGH zu Host-Providern (...).
d. Bei der Beurteilung der Pflichten des Störers sind jeweils die Umstände des Einzelfalls, die Funktion des Störers, seine Aufgabenstellung sowie die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, zu berücksichtigen. Es ist dementsprechend zu fragen, welche Pflichten dem Registrar im Hinblick auf die über die Domain erreichbaren Inhalte zumutbar auferlegt werden können.
Dabei ist insbesondere die technisch bedingt schwache und bezogen auf die Inhalte neutrale Stellung des Registrars zu beachten. Anders als der Host Provider, der für den Nutzer Informationen speichert, stellt der Registrar lediglich einen Namen zur Verfügung, unter dem der Nutzer dann Informationen einstellen kann. Dabei hat der Registrar, sofern er nicht gleichzeitig als Host Provider fungiert, über die unter der Domain erreichbaren Informationen selbst keine Kontrolle. Er kann insbesondere nicht einzelne Inhalte sperren oder löschen. Der Registrar hat Kontrolle allein über die Domain, also den Namen, unter dem Inhalte durch den Nutzer abgespeichert werden können. Ferner ist die Rolle des Registrars für das Funktionieren des Internet von hoher Relevanz. Da sich Nutzer nicht die IP-Adressen merken können, stellt die Bereitstellung von frei wählbaren Namen eine Grundvoraussetzung für das Angebot von Inhalten im Internet dar.
Die Löschung oder Dekonnektierung der Domain bewirkt zudem nicht, dass die unter der Domain enthaltenen Inhalte tatsächlich gelöscht werden oder nicht mehr abrufbar sind. Lediglich die Verknüpfung des Namens mit der IP-Adresse wird aufgelöst. Über die IP-Adresse ist der Server mit den angegriffenen Inhalten noch immer aufrufbar. Die Inhalte können auch – ggf. nach erneuter Indizierung – weiterhin durch Suchmaschinen aufgefunden werden. Zusätzlich kann derjenige, der die Inhalte tatsächlich bereit gestellt hat, jederzeit andere Domains reservieren, über die diese Inhalte abrufbar sind, oder den Domainnamen einem anderen Registrar übertragen und sie damit unter der identischen Domain erneut verfügbar machen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich der Registrar möglicherweise auf die Haftungsprivilegierung nach § 8 TMG berufen kann (...). Die Privilegierung ist nach bisheriger Rechtsprechung des BGH zwar nicht unmittelbar auf Unterlassungsansprüche anwendbar (...), sie findet aber auch im Rahmen von Unterlassungsansprüchen bei der Bewertung der zumutbaren Prüfungs- und Überwachungspflichten Anwendung (...).
Zusätzlich ist es bei der Bewertung von Pflichten erforderlich, die im konkreten Einzelfall betroffenen Rechte der Beteiligten gegeneinander abzuwägen (...). Unter Abwägung dieser Rechte muss sich eine Anordnung gegenüber dem Registrar als geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig darstellen (...).
Hier streitet für die Antragstellerin ihr auf Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG (und Art. 1 EU-Grundrechte-Charta) gründendes allgemeines Persönlichkeitsrecht.
Die Antragsgegnerin wiederum kann sich auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG (Art. 16 EU-Grundrechte-Charta) geschützte Unternehmensfreiheit stützen. Zusätzlich ist das Recht des Inhabers der Domain auf Ausübung seiner Äußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG (und Art. 11 EU-Grundrechte-Charta) zu beachten. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass durch die Löschung einer Domain nicht nur diejenigen Inhalte betroffen werden, die sich als rechtsverletzend darstellen, sondern im Ergebnis alle unter einer Domain vorgehaltenen Informationen, unabhängig davon, ob sie in die Rechte der Antragstellerin eingreifen oder auch nur mit ihr zu tun haben. Weiter können durch die Löschung einer Domain auch Inhalte von unbeteiligten Dritten Parteien betroffen sein. So können unter einer Domain wiederum Sub-Domains (sogenannte Third-Level-Domains) geschaltet sein, bei denen andere, dritte Personen Inhalte hinterlegt haben (...).
Werden durch eine Löschung einer Domain Inhalte auch anderer Personen als des möglicherweise rechtsverletzenden Kunden des Registrars betroffen, sieht sich der Registrar diesen gegenüber eventuellen Schadensersatzforderungen ausgesetzt, so dass insoweit ein weitergehender Eingriff in seine Unternehmensfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG vorliegen kann.
e. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Rechtsprechung des BGH zur Haftung eines Host Providers (...) nicht ohne Weiteres auf den Registrar übertragen werden kann. Da der Registrar einen im Grunde neutralen Dienst anbietet und keinen unmittelbaren Einfluss auf die Inhalte unter der Domain ausübt, er - anders als der Host Provider - nicht gezielt einzelne rechtsverletzende Inhalte löschen oder entfernen kann, dritte unbeteiligte Personen von der Löschung unmittelbar auch in eigenen Rechten betroffen sein können und die Löschung der Domain praktisch zwingend auch andere, möglicherweise nicht rechtsverletzende Inhalte betrifft, stellen sich die Umstände des Einzelfalls beim Registrar grundlegend anders dar als beim Host Provider. Von ihm kann daher jedenfalls nur weniger verlangt werden als vom Host Provider.
Insoweit ist die Übertragung der Rechtsprechung des BGH zur Haftung der DeNIC als Störer vorliegend näher als derjenigen zur Haftung des Host Providers (...). Dann könnte vom Registrar eine Unterlassung und damit Löschung der Domain - nach entsprechendem Hinweis durch den Verletzten - allenfalls verlangt werden, wenn betreffend des rechtsverletzenden Inhalts ein rechtskräftiger Titel vorliegt oder sich dem Registrar die Rechtsverletzung aufgrund ihrer Offenkundigkeit geradezu aufdrängt (...). Dabei kann vom Registrar allerdings keine nähere Prüfung verlangt werden als sie sich aus dem Maßstab der Offenkundigkeit ergibt. Selbst in solch offenkundigen Fällen kann - aufgrund einer Abwägung im konkreten Einzelfall - eine Löschung möglicherweise nicht verlangt werden, wenn durch die Löschung eine Mehrzahl anderer Kunden betroffen wäre, denen eine Rechtsverletzung nicht vorzuwerfen ist.
f. Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, scheidet eine Haftung der Antragsgegnerin vorliegend aus.
Die Antragstellerin begehrt die Unterlassung - und damit Löschung der Domain - hinsichtlich von Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Die Bewertung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen stellt sich in der Regel als schwierig dar. Ausgehend von einer Bewertung unter Berücksichtigung aller Umstände der Äußerung im Gesamtkontext, ob konkrete Aussagen als Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen zu betrachten sind, müsste der Registrar bei Tatsachenbehauptungen die Wahrheit oder Unwahrheit durch Abgleich mit den möglicherweise eidesstattlich versicherten Gegendarstellungen des Verletzten abgleichen. Liegt eine Meinungsäußerung vor, ist zu überprüfen, ob diese sich als beleidigend oder schmähend darstellen. Diese insgesamt komplexe rechtliche Bewertung steht einer "offenkundigen" Rechtsverletzung im Grundsatz entgegen (...). Eine Offenkundigkeit in diesem Sinne kann daher praktisch nur bei eindeutig beleidigenden Inhalten angenommen werden.
Hier musste die Antragsgegnerin keine Maßnahmen ergreifen, insbesondere die Domain nicht löschen. Es war nämlich zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Äußerungen in deutscher Sprache verfasst waren, während es sich bei der Antragsgegnerin um ein italienisches Unternehmen handelt. Es kann von der Antragsgegnerin daher nicht erwartet werden, einen deutschen Text auf offenkundige Rechtsverletzungen im Bereich der Beleidigungen zu untersuchen. Insoweit liegt für "den Sachbearbeiter" (...) bereits aufgrund der Sprachbarriere keine "offenkundige" Rechtsverletzung vor.
Weiter hat die Antragstellerin vorliegend nicht vorgetragen, welche anderen Inhalte sich auf der streitgegenständlichen Domain befinden, die von einer Löschung zwingend ebenfalls betroffen wären."
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.08.2015, Az. 2-03 O 306/15